Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
Überlieferung unseres Volkes« erzählt – auch wenn diese Tradition praktisch druckfrisch ist. Im Konflikt in Ex-Jugoslawien hat so mancher Politiker von heute auf morgen entdeckt, dass »schon immer« das Herz eines Serben in ihm schlug. Dritte, die Frieden stiften wollen, achten vertrackterweise ebenfalls vor allem auf vermeintliche Besonderheiten der Konfliktparteien, etwa die religiöse Richtung. Die charakteristische ethnozentrische Argumentationsform im Umgang lädt ein zu Zuschreibungen und damit zur Verwendung von Feindbildern. Mit einem Mal haben alle Scheuklappen um.
Globaler Provinzialismus
Die Eigenbezeichnung der Mehrheit der Volksgruppen dieses Planeten heißt übersetzt so viel wie »Menschen«, »Echte Menschen« oder »Eigentliche Menschen« beziehungsweise »Das Volk« oder »Das Fleisch«. Beispiele für solche Selbstbezeichnungen sind die der Kanak , Khoi-Khoi , der Eskimos (Inuit) , Guyaki (Aché) , Kiova , Navaho und der alten Ägypter. Für die Roma sind alle übrigen »Barbaren« (gadesche) . Die Buren-Trekker in Südafrika sprachen von sich selbst als »Menschen« (mense) , andere Gruppen nannten sie »Geschöpfe« (skepsels) . Laut Graham Sumner, dem Altvater der Erforschung des Ethnozentrismus, haben sich manche Gruppen für die einzigen existierenden Menschen gehalten. Ethnologen gehen davon aus, dass 90 Prozent aller ethnischen Eigenbezeichnungen in diese Richtung gehen. Verlässliche Daten gibt es dazu nicht. Allein das starke Vorkommen solcher Bezeichnungen ist jedoch eine klare Aussage über das universal verbreitete Selbstverständnis von Gruppen – und über das Bild, das man vom Nachbarn hat.
Was ist Ethnozentrismus? Es ist die Betonung der kulturellen Grenze zu anderen, wie wir sie schon von der Ethnizität kennen, verbunden mit der Höherwertung der eigenen Gruppe. Das Heimatlich-Vertraute wird über alles andere gestellt. Man schätzt das Bodenständige und das Immer-so-Gewesene. Entsprechend begegnet man anderen mit Misstrauen. Fremde und Fremdes, Andersartiges und allgemein alles, was aus der gewohnten Ordnung herausfällt, wird abgewertet. Mein Kollege Klaus Müller hat die ethnozentrische Perspektive auf den Punkt gebracht: »Das eigene Territorium liegt im Zentrum der Erde, das eigene Dorf bildet den Mittelpunkt, das ›Herz‹ der Welt. Beides betrachtet man als Inbegriff des Guten und Schönen, als die menschliche Lebenswelt schlechthin. Die Menschen erscheinen sich selbst als ›Krone der Schöpfung‹. Die Angehörigen der eigenen Gruppe werden als die eigentlichen, wahren Vertreter der Menschheit begriffen.«
Wie man die eigene Welt überhöht und verklärt, so niedrig und dunkel wird alles andere hingestellt: »Unbekannte Landschaften erscheinen furchteinflößend und hässlich, fremde Gebrauchsgüter unzweckmäßig und wenig sinnvoll, ungewohnte Verhaltensweisen absonderlich, komisch, unmoralisch oder überhaupt anomal. Fremde Menschen hält man für ›unzivilisiert‹, für ›Wilde‹ oder gar für halbe Tiere. Dementsprechend traut man sich nur ungern über die eigenen Territoriumsgrenzen hinaus und meidet nach Möglichkeit den Kontakt mit Fremden. Man glaubt, dass er ›verunreinigend‹ sei und gefährliche, zerstörerische Wirkkraft habe.« Sicher ist diese Perspektive nicht bei allen Menschengruppen so scharf gestellt. Für manche ist Ethnizität wichtiger als für andere, es gibt »dünnes« und »dickes« Wir-Bewusstsein. Universal ist aber die Abgrenzung selbst.
Ethnozentrismus ist das krasse Gegenteil des Kulturrelativismus. Er geht von der eigenen Kultur aus und weiß das noch nicht einmal. Ethnozentrismus ist mehr als nur eine Wahrnehmungsperspektive. Es ist eine Haltung zur Welt. Man begreift die Gruppe, der man sich zugehörig fühlt, als Mittelpunkt. Sie rückt ins Zentrum der gesamten Weltsicht. Die restliche Welt sieht man durch die Brille der eigenen Kultur. Fast immer wird das Fremde abgewertet. Die positive Wertung aus ethnozentrischer Sicht ist selten; auch wenn die Romantisierung, etwa der Indianer als Ökoheiliger, hierzu zählt. Der Perspektive und dem Werturteil folgt das Handeln. Menschen anderer Gruppen erfahren eine gesonderte Behandlung, oft werden sie diskriminiert.
Beim Ethnozentrismus spielen also mehrere Aspekte zusammen. Er handelt sich um etwas, das Mediziner ein Syndrom nennen würden. Leider ist es ein universal verbreitetes Syndrom. Es ist ein Syndrom mit hoher Ansteckungsgefahr. Wir müssen auf diesem zunehmend
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