Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
besuchen ihre Heimatorte im Urlaub, zu Familienfeiern oder zu religiösen Festen. Ein Großteil von ihnen will gern dauerhaft an den Ort ihres Ursprungs zurückkehren.
Menschen wollen am Ende eines langen Lebens in der Fremde an ihrem Geburtsort begraben werden. Exilanten wollen ihren Geburtsort wiedersehen. Familien, die seit Generationen in der Diaspora leben, suchen nach ihren Wurzeln. Für die meisten Menschen dieser Welt ist es eine Katastrophe, wenn sie ihre Hütte oder ihre Wohnung auch nur zeitweise verlassen müssen. Die Menschen selbst scheinen sich um die geschliffenen Kulturtheorien wenig zu kümmern. Bei allem Austausch suchen sie Heimat und grenzen sich ab. Warum?
Köln – die Mitte der Welt
Ich lebe in Köln. Nach sieben Jahren in Trier bin ich seit 2008 wieder in der Domstadt. Eine Stelle an der Uni Bonn hat es möglich gemacht. Meine Frau und ich empfinden Köln als Heimat, obwohl wir beide nicht hier aufgewachsen sind. Ich bin in Moers am Niederrhein geboren, einer von Bergbau und Kleinbürgertum geprägten Kreisstadt, die allenfalls durch Jazz und Hanns Dieter Hüsch bekannt ist. Maria stammt aus Wipperfürth, einer Kleinstadt im Bergischen Land. Als Kind habe ich an verschiedenen Orten gelebt, weil meine Eltern oft den Wohnsitz wechselten. Vom Niederrhein zogen sie ins katholische Bamberg in Franken, wo ich fast fünf Jahre zur Schule ging. Ich fühlte mich dort so schnell wohl, dass ich in Heimatkunde der Beste war. Ich wusste alles über die Geschichte des Rhein-Main-Donau-Kanals und über Heinrich und Kunigunde im Bamberger Dom.
Danach bekam mein Vater eine Stelle in Düsseldorf. Also zogen wir an den Stadtrand, und ich ging in der Stadt aufs Gymnasium. Mit dem Abitur in der Tasche brach ich auf ins »Feindesland«. Ich begann mein Studium in der rheinischen Konkurrenzmetropole Köln, wo ich dann 30 Jahre blieb. Warum fühle ich mich in Köln wohl? Meiner Erinnerung nach und auch nach Aussage meiner Eltern habe ich mich an allen Orten schnell eingelebt – im Gegensatz zu meiner Mutter, die als lebhafte Rheinländerin im erzkatholischen Bamberg oft verzweifelte. Warum ist dann hier in Köln meine Heimat?
Ich kann nur mutmaßen. Während der 30 Jahre in Köln habe ich in drei verschiedenen Wohnungen gelebt. Sie lagen zwar nicht im selben Stadtteil, aber doch so nah zusammen, dass sie untereinander zu Fuß erreichbar waren. Zuerst wohnte ich in Lindenthal im großen Haus meiner Oma. Von meiner Studentenbude dort konnte ich bequem zur Uni laufen. Als ich meine Frau kennenlernte, war ich in einer guten Viertelstunde Fußweg bei ihr. Sie wohnte wie ich so nah bei der Uni, dass wir uns oft da verabredeten. Im Gebiet zwischen diesen Wohnungen lebten viele Freunde und etliche Bekannte. Nach unserer Heirat zogen wir ins Belgische Viertel. Die gemeinsame Wohnung war nur knapp einen Kilometer von Marias Studentenzimmer entfernt. Zur Uni, wo ich schließlich im Ethnologieinstitut als Assistent arbeitete, war es ebenfalls nicht weit. Hier bekamen wir unsere beiden Kinder und wohnten bis zu unserem Umzug nach Trier.
Nur wenige Forscher haben sich bislang kulturvergleichend mit dem Heimatgefühl befasst. Überzeugend klingt für mich die These, dass Heimat bestimmte Örtlichkeiten mit Erlebnissen verbindet. Der Soziologe Heiner Treinen nennt das »symbolische Ortsbezogenheit«. Der Kern von Heimatgefühl entsteht, wenn man bestimmte Erlebnisse immer wieder an den gleichen Örtlichkeiten macht. Es geht also nicht allein um die markante Straßenecke, den schönen Platz, den kleinen Kiosk oder die alte Kirche. Es sind vor allem die menschlichen Begegnungen und sozialen Situationen, die man hier erlebt. Man macht sie häufig, und das über lange Zeit. Ich bin bei meinen alltäglichen Wegen – zwischen den Kölner Zimmern, der Uni und den Wohnungen von Freunden – immer wieder an bestimmten Orten auf bestimmte Leute gestoßen. Das waren nicht nur mir bekannte Personen, aber es waren immer wieder dieselben. Und ich habe auch gemeinsam mit Freunden und Vertrauten typische Situationen an bestimmten Stellen immer wieder erlebt.
Heimat in diesem Sinn ist auf den sozialen Nahraum beschränkt. Sie hat wenig mit so großen Gebilden wie dem Rheinland oder gar Deutschland zu tun. Damit solche unüberschaubaren Einheiten als Heimat erlebt werden, versuchen Lokalpatrioten und Nationalisten, ihre Region oder ihr Land so zu präsentieren, als wäre es ein großes Dorf. Auch wenn ich 99 Prozent der 80 Millionen
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