Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
Werken ist der aber gar nicht nötig, um sie zu mögen. Es gibt immer wieder Glanzstücke, die Menschen aus verschiedensten Kulturen spontan ansprechen, beispielsweise die Höhlenbilder von Lascaux, die Venus von Milo oder das Taj Mahal. Trotz aller zeitlichen und räumlichen Distanz faszinieren diese Werke uns. Wir kennen weder Künstler noch soziale Hintergründe. Die Faszination braucht die Vertrautheit nicht. Warum mögen nicht nur die sprichwörtlichen Japaner, sondern Menschen in aller Welt Beethovens Fünfte ? Warum finden Menschen rund um den Globus japanische Gärten anziehend? Warum sind Buddha-Figuren aus Thailand weltweite Best- und Longseller? Wir wissen, dass diese Werke für Menschen anderer Zeiten oder Kulturen und nicht für uns geschaffen wurden, haben aber dennoch das klare Gefühl, dass es bei ihnen auch um uns geht.
Diese Faszination, diese emotionale Wirkung ist kulturübergreifend. Jeder, der zum ersten Mal einen japanischen Garten betritt, wird sofort von einer ganz bestimmten ruhigen Stimmung erfasst. Dafür muss er keine Kenntnis von Japan und den Japanern haben. Dafür braucht er nichts über die lange Tradition des japanischen Gartens, seine Prinzipien und historischen Zusammenhänge zu chinesischen Gärten sowie die Kunst des Zen zu wissen. Dem Eindruck der Pyramiden oder der kambodschanischen Tempelanlage Angkor Wat kann sich kaum jemand entziehen. Wer in einer Kirche in den amerikanischen Südstaaten einen Gospelchor in voller Aktion erlebt, wird sofort mitgerissen.
Denis Dutton ist ein umtriebiger Kunstphilosoph an der Universität von Canterbury in Neuseeland. Er will unterschiedlichste Kunstformen in einen Dialog bringen. Seine beliebte kulturübergreifende Internetseite Arts&Letters Daily wurde vom englischen Guardian zur besten Website der Welt gekürt. Der agile Kunstkenner und Medienaktivist von der anderen Seite der Welt fragt nach universellen Eigenschaften von Kunst. Dabei hat er Werke aus allen Weltgegenden im Blick. Dutton stellt fest, dass herausragende Stücke bestimmte Eigenschaften haben. Sie sind komplex, haben ein echtes Thema, besondere Absichten und einen gewissen Abstand vom Alltäglichen. Diese Werke rufen Resonanz in den meisten Menschen hervor – abgesehen von einzelnen Ausnahmen, die auch hier die Regel bestätigen. Dutton sagt, dass Kunst unseren »Kunstinstinkt« anspricht. Große Kunst bietet Ekstase, sie führt uns aus uns selbst heraus und zieht uns deshalb an. Solche Werke haben das Potenzial, Staunen in uns hervorzurufen, und das ist eine der Kernleistungen von Kunst.
Als ich amerikanische Freunde vom Kölner Hauptbahnhof abhole, gehen wir natürlich direkt zum nahen Dom. Beim Anblick der Kathedrale bleibt ihnen erst einmal die Luft weg wegen der schieren Größe und der ästhetischen Wirkung. Meine Freunde aus der Neuen Welt mit ihrer kurzen Geschichte brauchen keine Kenntnis der langen Geschichte der Alten Welt, um den Dom schätzen zu können. Sie benötigen kein Wissen über Gotik, über Kapitelle, Apsis und Vierung. Sie sind fasziniert, auch wenn sie fast nichts über den Bau wissen und mich ganz unbedarft fragen: »Wow, Chris, but why in the hell did they build the cathedral so close to the train station?«
Bei manchen Kunstwerken brauche ich weder Mitglied der Kultur zu sein, aus der sie stammen, noch Zeitgenosse der Schöpfer, um ihrem Zauber zu erliegen. Die Wirkung dieser Werke muss also eine nichtkulturelle oder vorkulturelle Komponente haben. Ich will mit diesen Beispielen nur zeigen, dass hier bei fast jedem bestimmte Wirkungen zu erwarten sind. Das schließt weder aus, dass diese verschieden stark sind, noch, dass es auch andere mögliche Wirkungen gibt. Es soll damit auch keinesfalls nahegelegt werden, dass Wissen über die Hintergründe nichts Wesentliches zum Genuss eines Kunstwerks beiträgt. Ganz im Gegenteil!
Etwas »ganz besonders« machen
Spätestens seit Franz Boas gibt es die These, dass Kunst sich in irgendeiner Form in jeder Gesellschaft findet. Aber wie wird aus einer Spielerei ein Kunstwerk, was unterscheidet Lärm von Musik? Und was zeichnet Werke aus, die kulturübergreifend wirken? Worin liegt das Gemeinsame? Die meisten Kunstdefinitionen kreisen darum, dass Kunst Dinge jenseits des alltäglichen Nutzens schafft. Kunst ist nicht absichtlich nützlich. Zwar betonen Ethnologen, dass Kunst vielerlei unbewusste Funktionen erfüllt: Kunstwerke können zentrale kulturelle Werte demonstrieren. Kunst kann Kindern die
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