Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
nebeneinanderzustellen. Was geschieht im Kopf der Zuschauer, wenn afrikanische Masken und Werke der Expressionisten direkt aufeinandertreffen? Die These Rubins war, dass es innere oder formale Affinitäten zwischen Kunstwerken aus Kulturen gibt, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten. Blättert man im Katalog zur Ausstellung, frappieren tatsächlich die Ähnlichkeiten zwischen Kunstwerken aus den verschiedensten Regionen. Die Gleichheiten gehen oft bis ins Detail. Radikal vereinfachte Formen, wie sie die expressionistische Moderne schuf, gab es in anderen Kulturen schon Jahrhunderte zuvor. Bereits die wohl älteste Kunst, 20000 Jahre alte Höhlenmalereien in Frankreich und Spanien, stellt Menschen und Tiere in genialer Konzentration auf das Wesentliche dar.
Rubins Ausstellung zeigte aber auch das starke Verlangen, Fremdes vertraut zu machen, es der eigenen Kultur anzugleichen. So ist auf dem damaligen Plakat und auf dem Titelbild des Katalogs eine Maske der Kwakiutl einem bekannten Gemälde Picassos, dem »Mädchen vor dem Spiegel«, gegenübergestellt. Die formal ungewöhnliche Darstellung des Gesichts, vor allem die »weggeklappte« Nase, erscheint bei beiden Werken verblüffend ähnlich. Die Affinität zwischen den Kunstwerken ist in diesem Fall allerdings reichlich konstruiert. Sie entsteht dadurch, dass die Kwakiutl-Maske nicht frontal gezeigt wird, sondern gedreht, so dass sie das Innenprofil zeigt. Erst so gesehen ähneln sich beide Werke.
Wieder eine andere Rahmung erfährt Indianerkunst im National Museum of the American Indian, wo die Kunst der Nordwestküstenbewohner und anderer Gruppen explizit aus der Perspektive der Indianer selbst gezeigt wird. Die Präsentation betont aktuelle Probleme und setzt auf Einfühlung. Gesprochen werden die Erklärungen der Audioguides von Mitgliedern der indianischen Bevölkerung. Das Museum liegt an einem symbolisch bedeutsamen Ort, dem ehemaligen Zollgebäude an der Spitze Manhattans, und der neoklassizistische Bau stellt das Museum in eine Reihe mit anderen Bauten, die in besonderer Weise die Vereinigten Staaten von Amerika repräsentieren, wie das Kapitol, der Oberste Gerichtshof oder das Weiße Haus. Kunst kann also offenbar in sehr unterschiedlichem Rahmen gezeigt werden. Und dieser Rahmen beeinflusst, wie wir auf die Werke blicken und was wir als Kunst ansehen.
Kunst ohne Grenzen
Je unterschiedlicher die Kunsttraditionen, je fremder die Beispiele, die wir betrachten, und je vielfältiger die Formen ihrer Präsentation, desto größer die resultierende Verwirrung. Was ist denn nun Kunst? Ich unternehme einen neuen Anlauf, ganz simpel, nämlich über direkte Anschauung. Vielleicht bringt mich das der Beantwortung der Frage näher, was Kunst ausmacht und welche Ähnlichkeiten im Meer der künstlerischen Vielfalt bestehen. Ich gebe bei der Google-Bildsuche schlicht und einfach das Stichwort »Kunst« ein – und gehe sofort unter. In nur 0,03 Sekunden hält mein Rechner 1350000 Bilder für mich bereit.
Tapfer beginne ich mit dem Durchsehen. Was mir spontan auffällt, ist die enorme Spannbreite, von Bildern und Zeichnungen über Kunsthandwerk bis hin zu Piktogrammen. Es dominieren Beispiele aus der Gebrauchskunst, während ich nur vereinzelt auf Bilder berühmter Meister stoße. Nach einigen Hundert Bildern begreife ich, wie eingeschränkt das Spektrum trotz der Fülle ist. Beispiele der Kunst nichtwestlicher Völker finden sich nur vereinzelt. Erst wenn man diese genauer betrachtet, wird deutlich, in welch starkem Kontrast Bildwerke etwa aus afrikanischen Gesellschaften zu fast aller westlichen Kunst stehen. Fänden sich noch irgendwelche Gemeinsamkeiten, wenn man das ganze Kaleidoskop menschlichen Kunstschaffens in den Blick bekäme?
Es liegt der Schluss nahe, dass man nach etwas Kulturübergreifendem vergeblich sucht. Zumal viele Kunstwerke sich ja erst mit zusätzlichem Wissen erschließen. Das spüren wir besonders bei zeitgenössischer Kunst. Aber es gilt auch für Musik. Vielleicht gilt ja hier die Basisannahme der Ethnologie tatsächlich, dass wir die Produkte einer Kultur nur verstehen können, wenn wir in ihr groß geworden sind. Menschen nehmen alles durch die enge Brille ihrer Kultur wahr. Dinge aus fremden Kulturen sehen sie unscharf oder gar nicht. Diese ethnologische Einstellung ist heute praktisch zur Leitlinie des gesamten Kulturbetriebs geworden. Also ist Relativierung angesagt und: Kontext, Kontext, Kontext!
Bei vielen
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