Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
eindeutigen Spitzenreiter. Die Bedrohung, gegen die man sich wehren muss, ist auch im indischen Kino ein zentrales Element. Allerdings tritt sie etwas in den Hintergrund gegenüber der Herausforderung, einen Partner fürs Leben zu finden. Spannend wird diese Beobachtung, wenn man zu ergründen versucht, warum die Erfolgsfilme auf dem einen Kontinent mehr auf Gefahr setzen, während südlich des Himalaya die Partnerwahl noch vor diesen Action-Elementen rangiert. Wir wissen es noch nicht. Das ist Forschung. In jedem Fall steht fest: ohne Sex and Crime weder Hollywood noch Bollywood!
»Stammeskriege« als Zerrbild
In den 1970er Jahren gab es eine erbitterte Debatte um die Aggressionsneigung des Menschen. Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz hielt den Menschen für grundsätzlich aggressiv, räumte aber ein, dass der Ausbruch von gewalttätigem Verhalten abhängig sei von den äußeren Umständen. Darauf wollten die entschiedenen Verfechter der Umwelteinflüsse sich nicht einlassen. Für sie beruhte Aggression auf Erziehung. Sie werde anerzogen, also sei sie auch »wegerziehbar«.
Wir wissen heute, dass die Wahrheit in der Mitte liegt. Menschen haben wie andere Primaten ein Potenzial zur Aggression. Soziale Beziehungen sind tatsächlich oft von Aggressivität geprägt. Diese muss sich aber nicht in Gewalt äußern. Schließlich können wir unsere Impulse steuern und nachdenken! Außerdem haben Menschen auch die Neigung zu Freundlichkeit, Rücksichtnahme und Kooperation. Die Psychologen bezeichnen das als »prosoziales Verhalten«.
Fast noch spannender ist die Frage, ob ganze Kulturen prinzipiell kriegerisch oder dauerhaft friedlich sind. Kämpfen Menschen in ihren Gesellschaften ständig gegeneinander, oder kooperieren sie im Prinzip friedlich? Hobbes oder Rousseau – wer hatte recht? Vermutlich ist die Wirklichkeit weniger eindeutig und liegt irgendwo zwischen diesen Extremen. Da so viel von der Perspektive abhängt, fällt es uns schwer, einen sachlichen Blick auf Krieg und Frieden unter den Menschen zu richten. Vielleicht hilft uns das Gedankenexperiment einer emotionslosen Erdforscherin von einem fernen Stern. Diese Astro-Ethnologin würde bei ihrer Fernsicht auf die Erde für uns einige Überraschungen bereithalten. Sie würde uns kühl vorrechnen, dass es nur sehr wenige Kriege unter den bald sieben Milliarden Menschen gibt. Ein weiterer ihrer Befunde wäre die Tatsache, wie wenig körperliche Gewalt es in den meisten menschlichen Gesellschaften gibt. Als waschechte Ethnologin würde sie sich aber kaum mit der Ferndiagnose zufriedengeben, sondern in die einzelnen Gesellschaften gehen und dort Feldforschung betreiben. Ihre Feldforschungsberichte brächten weitere überraschende Dinge zutage. So werden die meisten Morde nicht etwa in modernen Gesellschaften und in Großstädten verübt, sondern in einfachen Kulturen. Die höchsten Mordraten gibt es bei bäuerlichen Gruppen in Ozeanien. Bei den freundlichen Eipo stirbt jeder vierte Mann eines gewaltsamen Todes.
Ethnologen haben durchaus Gesellschaften gefunden, in denen Gewalt positiv gesehen wird. Historiker verweisen auf Perioden in der Geschichte mancher Länder, in denen zum Beispiel männliche Gewalt nicht nur sehr ausgeprägt war, sondern auch gutgeheißen wurde. In den Südstaaten der USA wurde über Jahrhunderte hinweg das Ideal des aggressiven Mannes hochgehalten. Das wirkt bis heute nach. Zugleich gibt es gerade dort den denkbar größten Kontrast, die religiösen Kommunen der Amish, der Hutterer und der Quäker, die kompromisslos friedlich orientiert sind. Bekannt für aggressives Verhalten sind die Yanomami im amazonischen Regenwald. Dort gibt es eine Menge an Gewalt, vor allem Rachevorstellungen, körperliche Auseinandersetzungen und Kleinkrieg zwischen Männern. Betrachten wir diese »aggressiven« Gesellschaften genauer, sind es ganz bestimmte Formen von Aggression oder Gewalt, die als positiv gelten. Oder es sind bestimmte Umstände, in denen Gewalt als probates Mittel gilt. In vielen Mittelmeergesellschaften, wo sich das Leben stark um Familie, Ehre und Schande dreht, wird Gewalt bei Männern geduldet, aber nur in bestimmten Situationen, zum Beispiel, wenn man öffentlich beleidigt wird.
Die »Stammeskriege«, von denen unsere Massenmedien regelmäßig berichten, sind allerdings meist pure Erfindung. Die Ursachen sogenannter ethnischer Konflikte liegen in der Regel gar nicht in der Kultur der beteiligten Gruppen. Statt um Bräuche, Traditionen
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