Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
flächenhaften Gestaltung – es sind bestimmte Regeln und feste Konventionen der Form, die Kunst kennzeichnen.
Schnell sind wir wieder bei den Unterschieden. »Warum wird Koons hier wie ein Heiliger präsentiert?«, fragt der eine. »Kein Kwakiutl käme darauf, seinen Namen auf eine Potlatch-Maske zu schnitzen.« Sein Freund widerspricht: »Das ist doch nur bei den traditionellen Kunstwerken so. Unsere modernen Schnitzer schreiben ihren Namen immer drauf. Denk nur an Freda Diesing. Die hat sogar eine eigene Website, wo sie sich ganz schön in Szene setzt!« Bei den Nordwestküstenindianern gibt es heftige Debatten über die Folgen der Modernisierung und die Auswirkungen des internationalen Kunstmarkts. Sie sind eben keine Vorzeitkultur, sondern Menschen des 21. Jahrhunderts. Außerdem werden ihre Werke von Sammlern geschätzt und hoch gehandelt. Die meisten größeren Museen westlich der Rocky Mountains in Kanada und den USA haben Sammlungen von Nordwestküstenkunst.
In anderen nichtwestlichen Kulturen ist die meiste Kunst dagegen namenlos. Man kümmert sich wenig um Autorschaft. Bei den meisten afrikanischen Bildwerken oder Plastiken weiß niemand, wer sie hergestellt hat. Man kümmert sich auch wenig darum, was Original, autorisierte Kopie oder schlichte Fälschung ist. Westliche Museumsleute und Kunstsammler raufen sich darüber die Haare. Wir nehmen vieles als selbstverständlich, was es gar nicht ist. Auch in der Kunst des Abendlandes gibt es erst seit Dürer Namen auf den Bildern.
Kreativität im Sinne von etwas ganz Neuem, nie Dagewesenem ist in den meisten nichtwestlichen Kulturen kein erstrebenswertes Ziel. Wichtige Werke werden immer wieder kopiert und dabei über lange Zeiten unmerklich verändert. In vielen nichtwestlichen Gesellschaften gibt es Kunst nicht als eigens unterschiedenen Lebensbereich. Es ist unter Ethnologen umstritten, ob es in allen Kulturen so etwas wie Ästhetik gibt. Kunst ist in diesen Gesellschaften nicht mit »interesselosem Wohlgefallen« oder dem »Guten, Wahren, Schönen« gleichzusetzen. Sie ist einfach ein Teil des Lebens. Sie ist dort in der Regel in religiöse Rituale eingebaut oder hat politische Funktion. Aber auch in unseren modernen Gesellschaften steht Kunst immer in einem Rahmen, in dem es nicht nur um bloße Schönheit geht. Solche Kontexte können sehr verschieden sein und die Werke jeweils in ein ganz anderes Licht rücken.
Stadtindianer
Da ich schon einmal in Amerika bin, will ich mir auch echte Totempfähle ansehen. Also gehe ich zum American Museum of Natural History. Indianer im größten Naturkundemuseum der Welt? Ja, denn das Museum zeigt alles, von der Entstehung des Kosmos über die Dinosaurier bis hin zu den heutigen Völkern des Globus. Dieser wahre Tempel der Wissenschaft liegt am Central Park in prominenter Lage auf der Upper West Side. Im Faltblatt, das man für das Labyrinth im Inneren des neoklassizistischen Riesenbaus auch wirklich braucht, finde ich die Indianerabteilung schnell. Der Weg zieht sich dann aber doch in die Länge. Ich komme an Nachbildungen in Lebensgröße von afrikanischen Elefanten und Straußen vorbei. Die Exponate sind kunstvoll in Szene gesetzt, immer wieder bleibe ich hängen. Außerdem ist das Museum voll. Man kommt umsonst hinein, und seit der hier gedrehte Film »Nachts im Museum« zum Kassenschlager wurde, ist das Museum populärer denn je.
Die »Northwest Coast Indian Hall« wird ihrem Namen voll gerecht. Ich stehe in einem dunklen Raum, der so lang und hoch ist, dass er schon ohne die eindrucksvollen Totempfähle, die an beiden Längsseiten bis unter die Decke reichen, Ehrfurcht gebieten würde. Anders als in den populären Abteilungen ist es hier wunderbar ruhig. Im Mittelgang und am Rand sind in Glasvitrinen Szenen des Lebens der Kwakiutl minutiös nachgebaut. Ich sehe Frauen an Webstühlen und Häuptlinge beim Maskentanz. Daneben die Werke von anderen Indianergruppen der Nordwestküste. Sie haben ähnlich exotische Namen: Tshimshian, Haida, Nootka. Es wird noch einmal klar, welche enorme Rolle die Kunst im Leben all dieser Kulturen an der stürmischen Pazifikküste spielt. Nicht nur die Totempfähle, Holzhäuser und die riesigen Boote, auch die Holzkisten und sämtliches andere Gerät sind über und über mit bunten Bildern und Schnitzereien versehen.
In der Halle scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Man kommt kaum auf den Gedanken, dass diese Indianer heute noch leben. Ihre Kultur erscheint so fern wie das
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