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Heimat Mensch - Was uns alle verbindet

Titel: Heimat Mensch - Was uns alle verbindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Antweiler
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wichtigsten Normen vermitteln. Kunst kann ein kulturelles Gedächtnis sein. Symbole können Gemeinschaft zusammenschweißen. Neuerdings spekulieren Biologen darüber, ob Kunst die Gesundheit fördert, weil sie gute Gefühle erzeugt, die unser Immunsystem stärken. Alles das sind aber nicht gewollte Effekte, sondern Nebenwirkungen.
    Kunst, so das häufigste Argument, ist im Kern dazu da, Schönheit zu schaffen. Auf diese Weise machten Kunstwerke Freude, und das sei ihr eigentlicher Sinn, als Selbstzweck, ähnlich wie beim Sex. Schon Darwin sah die Schönheit als Brücke zwischen Natur und Kultur. Eine andere These erweitert den Radius und besagt, dass Kunstwerke in gezielter Weise Gefühle ansprechen. Das können verschiedene, auch negative Emotionen sein. Deshalb kann auch ein hässliches Werk, zum Beispiel ein ungestalter Fettkloß, durchaus ein Kunstwerk sein. Beide Ansätze sehen den hauptsächlichen Sinn von Kunstwerken jedenfalls nicht im konkreten Alltagsnutzen, was nicht ausschließt, dass ein Werkzeug, etwa eine Axt oder ein Gehstock, meisterlich verziert sein kann.
    Aber was ist mit Gegenständen, die für den reinen Nutzen gemacht wurden und dennoch als Kunstwerk gelten? Ein Beispiel sind die Möbel der Shaker, einer religiösen Gemeinschaft aus den USA, die ihren Höhepunkt im frühen 19. Jahrhundert hatte und das einfache Landleben sowie Bescheidung auf das Nützliche predigte. Ihre Kulturprodukte stehen im harten Kontrast zur flächendeckend verzierten Kunst der Kwakiutl. Alles, was die Shaker herstellten, sollte einfach und praktisch sein, sonst gar nichts. Die Möbel und Werkzeuge sind frei von Ornamenten, Intarsien oder anderem ästhetischen Schnickschnack. Um natürlich zu bleiben, wurde das Holz kaum gefärbt oder bemalt. Heute werden die Möbel der Shaker als Kunst gehandelt. Originale gehören zu den teuersten Antiquitäten auf dem Weltmarkt. Das war nicht immer so. Die Möbel mussten erst mit einem anderen Blick gesehen werden, um zu Kunst zu werden. Wir halten sie für schön, weil sie für den praktischen Nutzen eine genial einfache, zeitlos gültige Form finden. In unseren Augen haben die Shaker das natürliche Material Holz zu etwas Besonderem transformiert. Deshalb wertschätzen wir ihre Produkte als Kunst.
    Was außer Schlichtheit kann Menschengemachtes kulturübergreifend in den Rang von Kunstwerken heben? Kunstgeschichtler und Ethnologen haben einige Merkmale gefunden, die quer durch die Kulturen geschätzt werden. Beliebt sind überall Kontraste: hell/dunkel, leicht/schwer, klein/groß, laut/leise. Sie stehen in Bezug zu elementaren Strukturen der Wahrnehmung und finden auch in den Sprachen ihren Niederschlag. Gute Künstler gehen also in allen Kulturen auf Neigungen der menschlichen Wahrnehmung ein. Wohl in allen Kulturen werden Symmetrie und Balance, Klarheit, Weichheit und Helligkeit, Jugendlichkeit beziehungsweise Neuartigkeit sowie Verfeinerung geschätzt. Wir wissen aber bisher noch recht wenig über solche allgemeinen Muster, weder in der Kunst allgemein noch bei den als herausragend angesehenen Werken. So ist die Verhältnisrelation des »goldenen Schnitts« zwar ein Dauerbrenner in Kunstbüchern aus Europa und Amerika, aber die Erklärungen sind diffus oder widersprechen einander. Studien, die überprüft haben, ob nach dem goldenen Schnitt gefertigte Werke auch in anderen Kulturen besonders viel Gefallen finden, gibt es fast keine.
    In manchen Gesellschaften fehlt ein Wort für Kunst, so bei vielen Indianern Nordamerikas, und viele haben kein Konzept von Ästhetik. Dennoch gibt es in allen Kulturen ähnliche Ideen zu Kunst. Ellen Dissanayake hat die kulturübergreifende Vorstellung davon, etwas besonders oder kunstvoll zu machen, als making special bezeichnet. Als Prähistorikerin sieht sie diese Einstellung bereits in den frühen Höhlenbildern. Leider konnte sie die Maler von damals dazu nicht mehr interviewen. Aber wir können heute Tausende lebender Kulturen befragen. Dort finden wir immer wieder Wendungen wie »etwas besonders gut machen«, »etwas ganz besonders machen«, »etwas feinsinnig ausdrücken«, »etwas speziell fertigen« oder »etwas genial machen«.
    Quer durch die Kulturen existiert die Idee, dass es Kulturprodukte gibt, die nicht nur nützlich, stabil, haltbar und dergleichen sind, sondern »etwas mehr«, eben außer-gewöhnlich. Das kann etwas Gemaltes, ein Tanz oder Musikstück sein, aber auch eine Erzählung, eine Pointe oder eine Geste. Vermutlich kommt

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