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Heimaturlaub

Heimaturlaub

Titel: Heimaturlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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weil ihnen ihr Kopf zu teuer ist.«
    Dr. Curtius nickte nur, begleitete beide bis vor die Außentür und wankte dann zurück in sein Arbeitszimmer, wo er den Kopf in den Händen vergrub.
    Als Heinz Wüllner und Hilde sich am Abend dem Delphi näherten, sahen sie Dr. Curtius schon von weitem im Gespräch mit einem großen, hageren Mann. Der dunkle Mantel flatterte im Abendwind um die knochige Gestalt.
    Hilde hielt im Gehen inne und faßte Wüllner am Arm:
    »Kennst du den Herrn, der bei Dr. Curtius steht?« fragte sie. Ihre Stimme zitterte auf einmal.
    »Nein«, meinte Heinz gleichgültig und wollte weitergehen. Aber Hilde hielt ihn zurück.
    »Ich weiß, wer er ist.«
    »Na, und wer?«
    »Borgas!«
    »Friedrich Borgas? Täuschst du dich nicht?«
    »Nein. Bestimmt nicht. Komm, laß uns gehen.«
    »Aber warum denn?«
    »Er ist mir unheimlich.«
    Wüllner sah Hilde tief in die Augen.
    »Borgas hat Grauenvolles durchgemacht. Er hat Dinge erlebt, die schon einen normalen Menschen zerbrochen hätten – aber er ist Künstler, seine Seele ist besonders zerbrechlich, ist wie ein Kristall, dünn geschliffen und von hellem Klang. Was du heute noch davon siehst, sind nur Scherben. Ich wundere mich, daß er die Kraft aufbringt, überhaupt noch zu leben.«
    Weiter konnte Wüllner nicht sprechen. Borgas hatte sich herumgedreht, hatte die beiden gesehen und eilte nun mit Dr. Curtius auf sie zu.
    »Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß wir uns bald wiedersehen, Fräulein Brandes?« rief er laut und drückte ihre Hand. »Und der alte Wüllner ist auch dabei; ich denke, du steckst auf dem Balkan bis zum Nabel im Dreck? Willkommen, Heinz!«
    Auch Dr. Curtius begrüßte beide herzlich; allerdings merkte man, daß es ihn eine ziemliche Anstrengung kostete, den Lustigen und Unbefangenen zu spielen.
    Nachdem sie im eleganten Marmorfoyer des Delphi ihre Garderobe abgegeben hatten und vom Oberkellner an einen Tisch nahe der Spiegelwand geführt worden waren, einer Spiegelwand, die sich rund um den ganzen Raum zog, steckte Borgas plötzlich den Kopf zwischen die Schultern und spähte angelegentlich in den Spiegel auf der gegenüberliegenden Seite.
    »Kinder«, flüsterte er, »wißt ihr, wer hinter uns sitzt? Zwei Tische nach rechts von der Dame mit dem Silberfuchs? Na? Wüllner, du mußt ihn doch kennen!«
    Heinz blickte in den Spiegel und traute seinen Augen kaum. Auch Dr. Curtius staunte, und Hilde, der dieses Gesicht merkwürdig bekannt vorkam, dachte darüber nach, wo sie es schon einmal gesehen hatte.
    »Es ist SS-Obergruppenführer Schaub, der persönliche Adjutant des Führers«, flüsterte Borgas weiter. »Was der hier tut, wissen die Götter!«
    Dr. Curtius wurde wieder unsicher. Er verschüttete sein Glas Wein, fuhr sich mit zitternden Fingern über die Schläfen und fühlte sich auf einmal matt und grenzenlos deprimiert. Nur Wüllner stieß ihn in die Seite:
    »Denken Sie etwa, der persönliche Adjutant kümmert sich um uns? Der hat andere Sorgen! Wie kann man nur so kopflos sein. Mein Gott, seien Sie doch ein Mann, Curtius!«
    Er prostete ihm zu, als habe er eben einen glänzenden Toast gehalten. Mit zitternder Hand stieß Curtius an und trank das Glas bis zum Boden leer.
    »Wann hört dieser Druck auf, diese Angst, dieses Gefühl, immer verfolgt zu werden?« sagte Borgas. »Wahnsinnig kann man werden, toben. Man will endlich wieder frei atmen können, will Mensch sein unter Menschen … aber da steht der Galgen vor den Augen und das Gas … Kinder, man hört sie röcheln, schreien, wimmern, und draußen spielt eine Kapelle: Blau blüht ein Blümelein … Man wird wahnsinnig, man möchte um sich schlagen … und man schweigt …!«
    Hilde lief es wieder eiskalt über den Rücken. Das war es, was sie an Borgas fürchtete, dieser Ton des Todes, diesen Hauch aus den Gräbern, diese Dumpfheit trotz aller schreienden Erregung … und diese Wahrheit ohne Maske, ohne Gefühl – diese Nacktheit des Lebens.
    Wüllner sagte nichts. Er nickte nur und sah auf Dr. Curtius, der wie zusammengeschrumpft in seinem Stuhl saß. Endlich, nach Minuten des Schweigens, meinte er leise:
    »Wollte uns Dr. Curtius nicht eine interessante Geschichte erzählen?«
    Curtius versank noch um einige Zentimeter mehr.
    »Ich kann nicht«, stöhnte er. »Sie müssen das verstehen.«
    »Nichts verstehe ich. Überhaupt ist alles nur halb so schlimm, denn euer Freund Schaub steht soeben auf und geht.« Eine leichte Ironie schwang in seiner Stimme, als wolle er sagen:

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