Heimaturlaub
Kragenknöpfen in der linken Schublade des Nachttisches. So, jetzt wissen Sie es genau!«
»Und warum?«
»Weil mir das Abzeichen auf dem Rock zu schwer wurde. Es bog das ganze Revers herunter!«
Wüllner bewunderte diesen dicken Mann. Da saß nun ein leitender Direktor des Berliner Rundfunks, war nach außen ein Repräsentant der deutschen Kultur und galt in der Öffentlichkeit als großer Nationalsozialist – als Gefolgsmann des Führers –, und in Wirklichkeit sah alles ganz anders aus.
Hilde, die ahnte, wo das Gespräch hinauslief, hieb zur Freude Wüllners kräftig in die Kerbe, indem sie mit süßem Lächeln fragte:
»Glauben Sie etwa nicht daran, daß wir den Krieg gewinnen?«
Dr. Curtius kniff die Augen zu und tat so, als habe er eine Zitrone im Munde.
»Den Krieg gewinnen? Ich höre immer: gewinnen? Liebes Fräulein Brandes, Sie müßten nicht Wüllners Braut sein, um zu wissen, wie die Lage steht!«
Wüllner hielt nun den Zeitpunkt für gekommen, die Dinge beim Namen zu nennen und nicht mehr um den heißen Brei herumzureden:
»Dr. Elbers steht unter Gestapokontrolle, ich werde überwacht, und auch Sie sind für Himmler garantiert kein grüner Junge mehr.«
Die Wirkung war enorm. Dr. Curtius schnellte von seinem Stuhl hoch und starrte Wüllner an.
»Stimmt das, was Sie da sagen? Wüllner, ich frage Sie: Stimmt das? Dann gehe ich in Urlaub. Urlaub am Bodensee. Da ist jetzt Frühling, Baumblüte – ein verlockendes Ferienziel. Das schöne Konstanz, das ruhige Radolfzell …«
»… und die nahe Schweizer Grenze mit Zürich in der Nähe«, ergänzte Wüllner lakonisch und schüttelte dabei den Kopf. »Für so dumm dürfen Sie unsere Regierung nun doch nicht halten, lieber Curtius.«
»Aber ich kann nicht hierbleiben.«
»Warum denn nicht?«
»Ach, das wissen Sie noch nicht? Ich stecke dicke drin in der Suppe … von wegen Leni Riefenstahl.«
Wüllner blickte erstaunt auf. Auch Hilde sah interessiert Dr. Curtius an, der ein Thema angeschnitten hatte, das zu den dunkelsten und doch meist besprochenen Affären der Hitlerkreise gehörte.
»Ich weiß mehr, als mir lieb ist. Ich habe damals die ganze Sache aus nächster Nähe miterlebt und trotz aller Ermahnungen den Mund nicht halten können. Etwas muß in der neutralen Presse durchgesickert sein, denn ich fand einige andeutende Artikel in verschiedenen Zeitungen. Nur wußte ich nicht, daß Himmler bereits seine Finger nach Elbers und Ihnen und mir ausgestreckt hat.«
Wüllner, den dieses Thema reizte wie kein zweites, dauerte die Vorrede zu lange. Ermunternd nickte er Dr. Curtius zu und meinte:
»Nicht so viel im Dunkel lassen, was sowieso eines Tages ans Licht kommt. Schießen Sie schon los, Curtius. Wie war denn das mit der Diva?!«
»Wie das war?« keuchte Dr. Curtius. Eine leichte Röte stieg ihm ins Gesicht. »Schön war das, blendend, einzigartig, ein Triumph des Willens und des Könnens. Aber lassen Sie mich in Ruhe mit diesen Skandalen! Ich stecke meine Nase nicht mehr in Dinge, auf die ein Himmler sein Auge geworfen hat.«
Wüllner lehnte sich lächelnd in seinem Sessel zurück. Die kopflose Aufregung dieses dicken Rundfunkdirektors kam ihm etwas zu komödienhaft und à la Sancho Pansa vor, als daß er sie ernst nehmen konnte. Nur Hilde war voller Mitgefühl und verstand nicht, daß Heinz diesen Mann so offensichtlich quälte.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag, lieber Curtius«, meinte Heinz und drückte seine Zigarette aus. »Wir treffen uns heute abend im Delphi. Dort erzählen Sie uns die nette Geschichte ausführlich.«
»Ich werde mich hüten! Und die Gestapo?«
»Denken Sie nicht daran! Behalten Sie Ihren klaren Kopf. Je unbefangener Sie sind, um so weniger kann man Ihnen anhaben. Sie müssen glatt werden, lieber Curtius, glatt und rund, daß alle Krallen an Ihnen abrutschen. Jedes Angstgefühl ist der Beweis einer Schuld!«
Der Funkdirektor wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Wirklich, man muß Nerven haben, Nerven wie Stahlseile«, stöhnte er. »Also gut – wann treffen wir uns heute abend?«
»Gegen einundzwanzig Uhr. Vor dem Delphi. Erscheinen Sie wie immer: lächelnd und siegessicher.«
Wüllner erhob sich, reichte Curtius die Hand und klopfte ihm auf die Schulter. »Mut, nur Mut. Nehmen Sie sich ein Beispiel an Dr. Elbers. Er weiß genau, daß die Gestapo ihn beobachtet, aber er lächelt, agiert, spielt Komödie, ist einer der Bajazzos im Ministerium, die weinen möchten, aber doch immer nur lächeln,
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