Heimkehr
Segeln, Tauchen…«
Sie berührte meine Hand und blickte mich nachdenklich an. »Und wie denkst du jetzt über ihn?«
»Es hat mir fast das Herz gebrochen. Ich wünschte, ich könnte ihn umarmen, ihm sagen, daß er nicht zu weinen braucht, weil er jetzt sicher ist und nicht sterben wird.«
Leslie, meine Liebe, mein bester Freund. Sie sagte kein Wort. Sie ließ mich meinen Worten und Gedanken lauschen. Es herrschte Stille. Lange Zeit.
Ich suchte mein Gleichgewicht. Ich war nach außen nie allzu gefühlsbetont, weil Gefühle eine persönliche Angelegenheit sind. Ich habe sie häufig unterdrückt. Ein starkes Stück, sie einfach zu unterdrücken, aber es funktioniert. Die ganze Angelegenheit existiert schließlich nur in meinem Kopf.
»Du hältst seine Zukunft in deinen Händen«, sagte sie in die Stille hinein.
»Seine höchstwahrscheinliche Zukunft«, erwiderte ich. »Er hat noch andere Möglichkeiten.«
Leslie schüttelte den Kopf. »Du bist der einzige, der beurteilen kann, was er wissen muß. Wenn er in seinem Leben mehr erreichen will als du, bist du der einzige, der ihm das klarmachen kann.«
In diesem Moment liebte ich den kleinen Kerl. Und wenn ich bei ihm war, lichtete sich der Nebel über meiner Kindheit, alles glänzte kristallklar, und nichts war verloren.
»Ich wache über seine Zukunft«, sagte ich mit Bestimmtheit, »und er wacht über meine Vergangenheit.«
Plötzlich hatte ich das seltsame Gefühl, daß sie einander sehr brauchten, Dickie und Richard, zusammen wurden sie erst zu einer Einheit. Mußte ich wirklich so weit gehen – ich, der sich immer zurückzieht? Mußte ich auf ein Kind treffen, das mich in Asche verwandeln wollte, und ihm ganz persönlich zeigen, daß ich es liebte, egal, was geschah? Lieber würde ich von hier bis nach Oregon durch zerbrochenes Glas kriechen.
Gab es einen anderen Weg? Meine verborgenen Gehirnwindungen zeigten die monochromen Abläufe der Zeit, aus der ich gekommen war: verblaßte Fragezeichen. Dickie schritt an Mauern aus farbigem Sonnenlicht entlang, hinterließ eingravierte Details, und er vergaß nichts.
Jetzt fürchtete er sich vor der aufkommenden Dunkelheit, dabei war das doch gar keine Dunkelheit, sondern die bevorstehenden Abenteuer warfen ihre Schatten voraus. Das wußte ich genau. Die Entdeckungen würden ihn mitreißen, und er würde all das lernen, was er sich jetzt so sehnlichst zu wissen wünschte.
Stell dich deinen Ängsten, wollte ich ihm sagen. Trau ihnen das Schlimmste zu und zerstör sie im Zweifelsfall
sofort. Sonst werden sie sich vermehren, Dickie, sie werden wuchern, bis sie dich dicht umschließen und die Straße des Lebens, die du einschlagen möchtest, versperren. Du fürchtest dich vor Hirngespinsten, die sich als Höllenqualen tarnen.
Ich habe gut reden, ich habe das schon hinter mir. Er hat alles noch vor sich.
Wenn ich heute verängstigt wäre, dachte ich dann, was würde ich von dem, der es schon hinter sich hat, am dringlichsten wissen wollen?
Wenn die Zeit zu kämpfen kommt, Richard, werde ich bei dir sein, und die Waffe, die du brauchst, ist dann in deiner Hand.
Konnte ich ihm das jetzt sagen, mit der vagen Hoffnung, daß er es verstehen würde?
Eigentlich nicht, dachte ich dann, vielleicht bin ich derjenige, gegen den er kämpfen will.
7
»Leslie, warum kann ich die ganze Sache nicht einfach vergessen? Ich habe eine Menge wichtigerer Dinge in meinem Leben zu tun, als mit meiner eigenen Phantasie herumzuspielen.«
»Wie recht du hast«, erwiderte sie und räkelte sich auf dem Sofa. »Möchtest du Reis zum Essen?«
»Nein, es ist mir wirklich ernst. Was erreiche ich denn damit, wenn ich die Augen schließe und vorgebe, mit einer kleinen Person befreundet zu sein, die meine Kindheit besitzt? Warum kümmere ich mich um alte Geschichten?«
»Es handelt sich nicht um irgendeine alte Geschichte«, entgegnete Leslie. »Es ist deine Gegenwart. Du weißt, wer du bist, und er weiß warum. Wenn ihr Freunde seid, könnt ihr euch aufeinander einlassen. Aber niemand kann dir vorschreiben, was du zu tun hast. Ich liebe dich so, wie du nun einmal bist.«
Ich umarmte sie. »Danke, Liebling.«
»Schon gut«, sagte sie lächelnd. »Es ist mir egal, ob du ein hoffnungsloser Feigling bist, der nie zugeben würde, daß er nur einen Hauch von Gefühl in sich hat, der abstreitet, daß er für einen anderen Menschen etwas empfindet oder daß er überhaupt so etwas wie Emotionen besitzt. Es ist mir egal, ob du deine Kindheit
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