Heimkehr
verdrängst und so tust, als wärst du eben von einem anderen Stern gefallen. Du bist ein prima Koch, und das zeichnet den guten Ehemann aus.«
Lieber Himmel, dachte ich, sie findet also, daß es gut für mich wäre, dahinten in der Vergangenheit die Büchse der Pandora zu öffnen, um zu Dickie zu gelangen. Eine andere Ehefrau würde diesen Ehemann hinauswerfen, der endlos in seinem Bewußtsein herumlungert und sich unbedingt mit einem inexistenten Kind anfreunden will.
Kinder denken sich Erwachsene als Spielgefährten aus, überlegte ich. Dann können doch auch Kinder die Phantasie von Erwachsenen beleben. In meinen Büchern ist die Möwe Jonathan ein Produkt meiner Phantasie, ebenso Donald Shimoda und Pye… drei meiner vier besten Freunde und wichtigsten Lehrer haben keinen physischen Körper. Vielleicht würde Dickie mein Leben genauso verändern?
Ich verliere jetzt langsam die Kontrolle, dachte ich, dank Shepherd und seiner verrückten Phantasien. Wenn ich diesen alten Ford noch einmal sehe, werde ich mir als erstes das Nummernschild notieren, um herauszufinden, welche Vorstrafen der Bursche schon hat. Wieso kann so ein Verrückter eigentlich mein wohlgeordnetes Leben dermaßen durcheinanderbringen?
»Reis ist gut«, sagte ich und erhob mich.
Ich ließ Leslie mit ihrer Teetasse auf der Couch zurück, stellte die chinesische Pfanne auf den Herd, entzündete die Flamme, träufelte ein wenig Olivenöl hinein, nahm Sellerie, Zwiebeln, Pfeffer und Ingwer aus dem Kühlschrank und hackte und mahlte alles klein.
Wovor ängstigte ich mich eigentlich? Wer bestimmt letzten Endes mein Denken? Ich will mir diesen kleinen Kerl jetzt mal ein wenig netter vorstellen… er kann mit einer Entschuldigung zu mir kommen wegen der Sache mit dem Flammenwerfer, er soll die Lücken in der Erinnerung an meine Kindheit schließen, und dann kann er seiner eigenen imaginären Wege gehen und sich einbilden, er sei nun klüger. Schaden kann ihm das jedenfalls nicht.
Das gewürfelte Gemüse in die Pfanne, dazu den Reis von gestern, etwas Soja, daß es zischte, und dann noch Bohnensprossen. Fertig ist das Menü für zwei Personen.
Wenn es mir soviel Spaß macht, neue physische Rekorde aufzustellen — eine Meile in nur zehn Minuten anstatt in zehn Minuten und fünfunddreißig Sekunden zu laufen, hoch in den Lüften mit dem Gleitschirm zwei und eine halbe anstatt zwei und eine viertel Stunde zu fliegen – wenn ich selbst also meine körperliche Leistungsfähigkeit steigere, warum sollte ich dann nicht meine Emotionalität zulassen und weiterentwickeln?
Ich stellte das Geschirr auf den Tisch, blau und weiß, mit gemalten Blumen, passend zu denen, die Leslie frisch gepflückt hatte.
Eigentlich brauchte ich das nicht zu tun, dachte ich, niemand zwingt mich dazu. Aber wenn ich gerne erfahren möchte, was ich in meiner Kindheit zurückgelassen habe und wie die wiedergefundene Erinnerung meine Gegenwart ändern könnte, ist das dann verwerflich? Wird die Macho-Polizei dann meine Tür aufbrechen und mich verhaften, wegen Verdachts auf mangelnde Coolheit? Wer will mir denn verbieten, ganz unverbindlich durch meine eigene Vergangenheit zu wandeln?
»Zeit für das Abendessen, Wookie«, rief ich laut.
Beim Essen sprachen wir ausgerechnet über Kinder. Ich erzählte ihr, wie stolz ich auf meine war, weil sich jedes von ihnen für seinen individuellen Weg entschieden hatte. Ich verlieh meiner Erleichterung Ausdruck, daß ich selbst kein Kind mehr war. Wie beruhigend, nicht noch einmal diese Phase vor sich zu haben. Für die meisten Menschen sind es doch die rauhesten, grausamsten, schwächsten und verlorensten Jahre ihres Lebens.
»Du hast recht«, bemerkte Leslie, als ich uns zum Nachtisch Erdbeeren hinstellte. »Und es ist eine Schande, daß jedes Kind da allein durch muß.«
8
Schlafen konnte ich immer gut. Ein Gute-Nacht-Kuß für meine Frau, eine Vertiefung in mein Kopfkissen, hineinfallen, und kurz darauf schlafe ich tief.
An diesem Abend nicht. Zwei Stunden, nachdem Leslie in ihre Träume versunken war, starrte ich immer noch an die Holzdecke und durchlebte den Tag zum dreizehnten Mal.
Als ich zum letzten Mal auf die Uhr schaute, war es kurz nach Mitternacht, noch sechs Stunden bis Sonnenaufgang. Am Mittag wollte ich an Daisy, unserer Cessna Skymaster, herumbasteln.
Hoffentlich regnet es morgen, dachte ich in der Dunkelheit. Ich mußte einige Vorkehrungen treffen, damit sich der Rost nicht auf den Fluginstrumenten festsetzte.
Weitere Kostenlose Bücher