Heimkehr
falsche Weg.
Ich bin betäubt von dieser Medizin-Frömmelei, entsetzt von ihren Lehren. Arzneien als Allheilmittel, das ist doch Wahnsinn. Legal oder illegal, mit oder ohne Rezept, über dem Ladentisch oder als Bückware, an irgendeiner Straßenecke teuer erkauft. Jede Pille treibt einen weiteren Keil zwischen uns und unser besseres Ich, das uns der Wahrheit näherbringen könnte. Wir wären besser beraten, einen großen Bogen um diese Wundermittelchen zu machen, wann auch immer und wofür auch immer sie uns Hilfe verheißen. Das sind doch verbrecherische Machenschaften, warum soll man denn Leute unterstützen, die den Körper als Maschine behandeln, anstatt einmal hinter das augenscheinliche Krankheitsbild zu blicken?
Leslie ist gegenteiliger Ansicht. Medizinische Bücher liegen auf ihrem Schoß, wenn sie im Bett ist, und sie kann stundenlang mit großen Augen darin lesen. Nur hin und wieder murmelt sie mißbilligend: »Ernährung! Sport! Wie können sie das nur ignorieren?« Aber alles in allem freut sie sich über den Fortschritt in der medizinischen Wissenschaft.
Soll sie doch lesen, was sie will! Aber ich? Unterstütze ich eine Bande verwirrter, pillengläubiger Weißkittel, die
nicht begreifen, daß eine ganze Menge dieser Krankheiten zivilisationsbedingt ist? Wohl kaum!
In dieser Stimmung zog ich mich für den Wohltätigkeitsball unseres Krankenhauses an.
Ein besonderes Privileg, hatte Leslie sich gedacht. Nach dieser Einladung würden wir endlich über Killerviren und Siechtum Bescheid wissen.
»Laß uns dort hingehen«, hatte ich gesagt, denn ich hatte ansonsten wenig Gelegenheit, meine Frau im Ballkleid zu sehen. Es zerstörte zwar meine Grundsätze, wenn ich auf dem Ball die Mediziner und ihre rückwärts gewandten Ansichten unterstützte. Aber was für ein kleiner Preis für den Anblick von Leslie im Ballkleid.
Ich zwängte mich in mein dunkelstes Jackett, befestigte ein kleines Cessna-Flugzeug-Abzeichen an meinen Rockaufschlag und polierte es mit dem Daumen.
»Kannst du mir einen Moment helfen, Liebling?« rief sie aus dem Badezimmer. »Die Taille ist in Ordnung. Aber entweder ist das Oberteil geschrumpft, oder meine Oberweite ist in der Zwischenzeit größer geworden.«
Ich bin immer froh, wenn ich ihr behilflich sein kann, und eilte ins Badezimmer.
»Vielen Dank«, sagte sie bei meinem Anblick. Dann blickte sie in den Spiegel und zupfte am Ärmel. »Was meinst du? Geht das so, oder nicht?«
Sie hörte ein dumpfes Geräusch hinter sich, eilte mir um eine Minute verzögert zu Hilfe und lehnte mich gegen den Türrahmen. Sie wartete darauf, daß ich Kritik äußerte.
Das Kleid war aus einem weichen, fließenden schwarzen Stoff, das Dekolleté so tief wie der seitliche Schlitz am Kleid, und ihr Körper war eine einzige sinnliche Herausforderung.
»Sehr hübsch«, sagte ich verwirrt. »Wirklich reizend.«
Dann nahm ich eine Bürste und kämmte meine Haare vor dem Spiegel hin und her. Aber jeder Versuch, neben ihr auf dem Ball zu bestehen, schien aussichtslos zu sein. Niemand würde glauben, daß wir zusammengehörten, wenn wir den Ballsaal betraten.
Sie studierte sich weiterhin im Spiegel, blickte sich unentwegt und sehr kritisch an und verglich sich wohl mit irgendwelchen Filmgrößen, die Vorbildcharakter haben. Dann drehte sie sich zu mir hin und fragte zweifelnd: »Ist es nicht ein wenig gewagt?«
Ich holte tief Luft. »Solange du das Schlafzimmer nicht verläßt, ist es wirklich angemessen.«
Sie blickte mich im Spiegel mißbilligend an. Wenn Leslie sich für offizielle Anlässe kleidet, kehren sich ihre Werte schnell um, und ihre alte, kompromißlose Hollywood-Vergangenheit kommt wieder zum Vorschein. »Stell dich nicht an, Richie. Sag mir lieber, was du wirklich denkst. Wenn man zuviel sieht, ziehe ich es besser wieder aus…«
Zieh es am besten aus, dachte ich, und wir verbringen die Nacht zu Hause, Leslie. Laß uns gleich ins Nebenzimmer gehen und dort dein tiefausgeschnittenes Hollywood-Kleid bewundern, wie es Stück für Stück und ganz langsam von deinem Körper gleitet. Und laß uns dann vergessen, daß wir heute oder in den nächsten Tagen irgendwo hingehen müssen.
»Es ist gut so«, hörte ich mich zu meiner Überraschung sagen. »Es ist ein nettes, süßes Kleid, das dir sehr gut steht. Und es paßt hervorragend zu dem Ball, auch wenn vielleicht einigen Ärzten die Luft wegbleibt und sie in Ohnmacht fallen.«
Sie blickte mich skeptisch an. »Ich habe es gekauft, bevor
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