Heimkehr
erste Maat. »Oder Sie müssen es dem Steuermann selbst sagen, denn auf diesem Schiff gilt nur Ihr Wort.«
Vor dem Bug türmten sich die Wellen immer höher und stürzten in riesigen Brechern auf das Schiff. Gischt fegte über das Deck und die Männer.
Nur der Kapitän befehligte das Schiff.
Ich trat dicht an den Steuermann heran. Würde er mir gehorchen? »Schiff nach Backbord abfallen!«
Das Steuerrad wirbelte herum, die Segel schlugen und flatterten im Wind, der Sturm kam nun von Steuerbord, wir glitten über die Wellen, durch den weißen Vorhang der Gischt, ein Pferd im Galopp über das Meer, über uns krachte der Donner.
Instinktiv klammerten sich die Männer, die in die Takelage geentert waren, an Schoten und Brassen, als sich das Segelschiff im Gegenwind stark auf die Seite legte. Segel knallten von Steuerbord nach Backbord und blähten sich donnernd auf.
Die Offiziere beobachteten vom Achterdeck aus das Manöver und hielten sich krampfhaft an der Reling fest.
Kein Wort zum Kapitän, dessen Wort galt auf dem Schiff, die Mannschaft führte seine Befehle aus, und niemand widersprach ihm, sein Alter spielte keine Rolle.
Das Bild war deutlicher als im Kino, und mein Leben spielte sich auf einer großen Leinwand ab.
Ich konnte das Bild nicht erfinden. Ich habe es herausgefordert, aber ich habe es mir nicht ausgedacht. Gibt es eine unsichtbare Mannschaft in mir? Wer bietet mir dieses Bild dar?
»Hier, Sir!«
War die Stimme, deutlich wie das Bild, auch nur Einbildung?
»Aye, Sir. Wir sprechen eine Sprache, die Sie eine Zeitlang beiseitegeschoben haben. Ihre Einbildungskraft überträgt unser Wissen in Worte und Bilder, die Sie dann hören und sehen.«
»Und Sie reden nur, wenn Sie angesprochen werden?« wollte ich wissen.
»Ja. Ansonsten sind wir Gefühle, Intuition und Gewissen.«
Das Segelschiff zischte vorwärts und schlug die Richtung ein, die ich als Kursänderung gewünscht hatte. Ich stampfte nach achtern und packte ein Segelleinen mit beiden Händen. Es war mein Schiff! Warum sollte eine Idee, die so stark gefühlt wird, so schwierig zu glauben sein?
»Ich gebe hier die Befehle«, sagte ich.
»Aye, Sir«, kam es zurück.
»Und Sie sind der derjenige, der mich vor Mike und dem Bier gerettet hat?« fragte ich dann.
»Nein, Sir«, hörte ich die Antwort. »Das war… in diesem Bild ist es der zweite Maat. Wir hätten unser Leben für Sie gegeben, Sir, aber in unterschiedlicher Weise. Der zweite Maat denkt da mehr in Schwarz und Weiß als der Rest von uns. Als er sah, daß Sie in Gefahr waren, hat er sofort gehandelt, Sir.«
»Der Rest von Ihnen nicht?«
»Wir sind alle sehr verschieden«, erklärte die Stimme.
Mein ganzes Leben lang habe ich mich allein gefühlt. Ich war immer ein stilles Kind gewesen mit einem unbestimmten Irgendwas; irgendwas Starkem, irgendwas Gutem, um mich herum aufgebaut, unverständlich für mich.
Und plötzlich verstand ich es. Das Irgendwas war mein Schiff und seine geheime Mannschaft. Ich hatte nicht gewußt, daß ich auf dem Schiff meines Lebens absolute Autorität besitze. Ich entscheide über sein Ziel, seine Regeln, seine Disziplin. Meinen Anweisungen gehorcht jedes Werkzeug, jedes Segel, jede Kanone. Jede einzelne Seele an Bord setzt ihre ganze Kraft für mich ein. Eine ganze Reihe von Fähigkeiten wartet nur darauf, von mir aktiviert zu werden. Und müßten mich diese Seeleute sicher durch den Höllenschlund geleiten — sie würden es ohne Murren tun.
»Warum habt ihr mir nicht gesagt, daß ihr existiert?« fragte ich. »Es gibt noch so viele Dinge, die ich lernen muß. Ich brauche euch. Warum habt ihr mir nicht gesagt, daß ihr immer für mich da seid?«
Ich lag im Gras und lauschte dem Wind.
»Wir haben nichts gesagt, Sir«, kam die Antwort, »weil Sie nicht gefragt haben.«
*
Ich öffnete die Augen, eine lange Pause des Schweigens folgte. Dickie saß dicht neben mir, hielt die Augen geschlossen und prägte sich das Schiff ein.
»Was meinst du?« fragte ich ihn. »Philosophie oder nicht, kleiner Junge?«
Er öffnete langsam die Augen. »Ich weiß es nicht«, erwiderte er und sah mich eine Weile an. »Aber von jetzt an nenn mich bitte ›Kapitän‹«.
Ich berührte ihn sanft mit meiner Faust, um klarzumachen, daß dies keine schlechte Idee wäre.
19
Was geht mich das eigentlich alles an, dachte ich und starrte in den Spiegel, ohne wirklich etwas von mir selbst zu sehen; ich rieb mir Rasierwasser Marke Macho ins Gesicht. Medikamente sind der
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