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Heimkehr am Morgen (German Edition)

Heimkehr am Morgen (German Edition)

Titel: Heimkehr am Morgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Harrington
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der Krankenpflege haben.« Jess dachte praktisch, aber sie hatte auch ihren Stolz – Granny Mae sollte nicht glauben, sie sei die Einzige, die helfen konnte.
    Mit ihren hoch angesetzten Nasenlöchern wirkte Mae immer ein wenig höhnisch, aber im Moment hatte Jessica das Gefühl, bis hinauf in Maes Stirnhöhle sehen zu können. Mae presste den Kiefer zusammen, und angesichts ihrer selbstgefälligen Miene bedauerte Jessica, dass sie überhaupt hergekommen war.
    »Also, ich weiß nicht«, sagte Mae gedehnt, die Situation sichtlich genießend. »Bei mir sind bereits einige der Kranken in Behandlung. Wissen Sie, die Leute gehen nämlich nicht nur zu Ihnen.« Sie verschränkte die knochigen Arme vor ihrer flachen Brust.
    Ihr reserviertes Getue ignorierend fuhr Jess fort: »Adam, das heißt Mr. Jacobsen, trifft Vorkehrungen, damit ich die Schulturnhalle als provisorisches Krankenhaus nutzen kann. Wir brauchen den Platz, und es wird einfacher sein, die Kranken an einem zentralen Ort zu versorgen. Uns fehlen nur noch ein paar Leute, die uns bei dem ganzen Unternehmen helfen.«
    Mae glättete die Ärmel ihres ausgebleichten Hauskleids und strich sich über die Schürze. »Das klingt, als hätte es Hand und Fuß. Damit will ich jedoch nicht sagen, dass ich mitmache. Ich bin nämlich mit vielem von diesem Firlefanz, den ihr studierten Doktoren veranstaltet, immer noch nicht einverstanden. Bloß weil ihr von manchen Sachen nichts an der Universität gehört oder in einem medizinischen Fachbuch gelesen habt, heißt das noch lang nicht, dass sie nicht helfen. Ich habe in meinem Leben schon genügend Krankheiten und Behandlungsmethoden gesehen, und auch
ich
besitze Bücher. Sie sind von meiner Urgroßmutter an meine Großmutter und dann an mich weitergegeben worden. Viele der Heilmittel stammen noch von den Indianern. Sie wissen viel über das Heilenund natürliche Heilmethoden. Schon in der Bibel steht: ›Der Herr lässt die Arznei aus der Erde wachsen, und ein Vernünftiger verachtet sie nicht.‹ Kidneybohnen zum Beispiel tragen ihren Namen nicht ohne Grund – sie helfen bei Nierenproblemen! Durchfall stoppt man, indem man nichts anderes trinkt als kaltes Wasser. Und bei Scherpilzflechte helfen Urin-Umschläge. Ich habe es Ihrem Vater und danach Cyrus Vandermeer immer wieder gepredigt, aber glauben Sie, die hätten auf mich gehört? Oh nein, sie haben einfach …«
    Und so weiter und so fort. Jessica massierte sich die Stirn mit den Fingerspitzen. Sie war todmüde, Mae hatte ihr nicht einmal einen Stuhl angeboten, und die alte Frau ließ dieselbe ermüdende Tirade vom Stapel, die Jess schon so oft gehört hatte. Sie ließ den Arm fallen, der lahm geworden war, und fasste Mae so scharf ins Auge, als würde sie sie am Kragen packen.
    »Granny Mae Rumsteadt, im Namen der Menschlichkeit! Ich brauche Hilfe, nicht jemanden, mit dem ich mich über die richtigen Methoden streiten muss! Um hierherzukommen, habe ich fünf Patienten im Wartezimmer sitzen lassen, Patienten, die ich noch nicht einmal untersucht habe.« Einer von ihnen war Bert Bauer, der heruntergekommene Fremde, der bei Tilly’s von dem Mann mit dem Nasenbluten erzählt hatte. Damals hatte sie es für eine dreiste Lüge gehalten, die ihm kostenlose Drinks verschaffen sollte. Inzwischen wusste sie es besser. »Die Menschen hier werden krank, und viele von ihnen, sehr viele, werden vielleicht sterben. Bevor ich hierherkam, habe ich noch nach Anna Warnecke gesehen – sie liegt jetzt an Eddies Stelle im Krankenzimmer über der Praxis. Und sie ist blau wie ein nagelneues Paar Levi-Strauss-Jeans und blutet aus der Nase …«
    »Haben Sie ihr einen Penny in den Mund gelegt? Jeder weiß doch, dass ein Penny im Mund Nasenbluten stoppt.«
    »Ach, wirklich? Und was ist mit dem Blut, das aus ihren Augen läuft? Steht in einem der verdammten Bücher Ihrer Urgroßmutter auch dafür ein Heilmittel drin?«
    Mae unterbrach ihren Wortschwall und starrte sie sprachlos an. Anscheinend hatte Jessica sie endlich beeindruckt. »Sie b-blutet aus den
Augen

    Verzweifelt und am Ende ihrer Geduld fragte Jessica schließlich voll rechtschaffenem Zorn: »Wenn Sie mir schon nicht bei der Krankenpflege helfen wollen, würden Sie dann wenigstens für die Patienten kochen? Sie brauchen Suppe und leichte Kost. Und auch
ich
muss etwas essen.«
    Das zerfurchte Gesicht der alten Frau entspannte sich ein wenig. »Sie sehen selbst ein bisschen kränklich aus.« Der harte Zug um ihren Mund

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