Heimkehr am Morgen (German Edition)
reden und dabei nur die Augen zu sehen. »Ja, Adam hat sich darum gekümmert, dass ich dieses Gebäude nutzen kann. Es ist von Vorteil, dass er im Stadtrat sitzt.«
»Ich spreche hier nicht vom Stadtrat, und das weißt du ganz genau.« Er senkte die Stimme zu einem zornigen Flüstern. »Was willst du von ihm? Früher in der Schule mochten wir ihn nicht. Niemand mochte ihn, und auch jetzt steht er nicht unbedingt ganz oben auf der Beliebtheitsskala. Aber du lässt dir von ihm Blumen und Pralinen schenken?« Als er sie am Ellbogen packte, konnte er die Wärme ihrer Haut durch den Stoff spüren.
»Ich habe ihn schließlich nicht darum gebeten. Oder dazu ermutigt. Es war einfach eine nette Geste, ohne Hintergedanken.« Sie befreite sich aus seinem Griff.
»Schwachsinn, Jess. Bei ihm gibt es immer Hintergedanken. Er ist und bleibt ein neugieriges Klatschmaul, und jetzt schnüffelt er sogar für die Regierung.«
Sie zog den Mundschutz herunter und entblößte ihre vollen, korallenfarbenen Lippen. Ihre Augen wurden schmal. »Also ehrlich, Cole! Willst du damit andeuten, dass er mich mit Schokoladeverführt hat, um mir irgendwelche Informationen zu entlocken? Damit ich meine Patienten denunziere?«
Er spürte, wie sein Gesicht heiß wurde. »Nein, zum Teufel, ich wollte nicht …«
Sie zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen. »Merkst du denn nicht, wie lächerlich und beleidigend das klingt? Dass seine Aufmerksamkeiten nur vorgeschoben sind? Und dass ich so leicht auf solche Manöver hereinfalle?«
»Das habe ich nicht gemeint!« Plötzlich wurde es unter dem Stück Gaze über seinem Gesicht viel zu warm und stickig. Er riss es fort. Ohne dieses Hindernis konnte er den würzigen Duft ihres Haares und ihrer Haut riechen, trotz des scharfen Geruchs nach Desinfektionsmittel. So vertraut. Oft hatte er davon geträumt – auch vor Kurzem.
»Ach nein? Was hast du dann gemeint?«
Frustration und rasende Eifersucht brannten wie Säure in seinen Eingeweiden. »Die Leute sagen, er macht dir den Hof.« Die Worte schmeckten bitter in seinem Mund.
In gespieltem Entsetzen legte sie die Hand an die Kehle und schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Ach du liebes bisschen! Eine anständige junge Frau wird von einem Pfarrer umworben! Wo kommen wir da nur hin?«
»Ist es wahr?«
»Was geht dich das an?«, erwiderte sie patzig und ließ den Arm sinken.
Er runzelte die Stirn. »Ich verstehe nur nicht, warum du überhaupt etwas mit diesem Mistkerl zu tun haben willst.«
Ihre Lippen wurden zu einem schmalen Strich. »Mein Privatleben geht dich gar nichts an«, antwortete sie. »Nicht mehr, und du weißt genau, warum. Grundgütiger, du klingst ja mit jedem Tag mehr wie dein Vater.«
Verblüfft über diesen Vergleich mit Pop wollte er schon wütend auffahren, als Susannah auftauchte und ihr Gespräch unterbrach. Sie tauschte einen Blick mit Jessica. Susannahs lange, dunkle Locken waren zu einem dicken Pferdeschwanz gebunden, und sietrug ihren Reitrock und Stiefel, woran Cole erkannte, dass sie in den Morgenstunden bereits mit den Pferden gearbeitet hatte.
»Cole, hast du die Laken mitgebracht? Sie kommen dahin.« Susannah deutete auf ein Sammelsurium aus Geschirrschränken, die sie für den Wäschevorrat nutzten. Jeder trug ein Schildchen mit der Aufschrift »Mit den besten Empfehlungen von Hustad’s Möbelgeschäft«.
Leise fluchend wandte er sich jäh um und ging davon. Er fragte sich, warum das Leben so verdammt kompliziert geworden war.
Am Nachmittag begannen sich die Feldbetten in der Turnhalle zu füllen. Die freiwilligen Helfer hängten Betttücher auf, um getrennte Abteilungen für Männer und Frauen zu schaffen, und beide Seiten waren bereits mit Patienten belegt. Granny Mae brachte wie versprochen einen großen Kessel mit Rinderbrühe aus dem Café, der für die Hungrigen auf dem mit Holz befeuerten Herd in einem benachbarten Klassenzimmer bereitstand.
Die meisten waren jedoch zu krank, um etwas zu essen. Diejenigen unter Powell Springs’ Bürgern, denen es am schlechtesten ging, trafen nach und nach auf den Ladeflächen von Fuhrwerken oder mit Automobilen in ihrer provisorischen Krankenstation ein. Ein Paar war sogar zu Fuß gekommen und schleppte sich auf unsicheren Beinen herein. Und sie alle zeigten eine erstaunliche Vielzahl von Symptomen. Manche davon waren typisch für Grippe. Andere, wie beispielsweise Blutungen aus Nase, Mund und Augen, Petechien – flohstichartige Blutungen unter der Haut –,
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