Heimkehr am Morgen (German Edition)
in das Tintenfass seines Vaters und adressierte mit entschlossenem Strich einen Brief an den Leutnant seines Zugs bei der American Protective League. Er schätzte die APL besonders für ihre durchdachte Organisation mit Kompanien und Zügen und einer militärischen Befehlsstruktur. Manchmal beneidete er die größeren Städte um ihre großen Finanz- und Industrieunternehmen. Oft gehörten die meisten Arbeiter dort der American Protective League an und erstatteten ihrem Führungsoffizier in der Firma Bericht. In einem kleinen Ort wie Powell Springs war Adam der einzige Agent der Stadt. Sein Führungsoffizier, ein Banker in East Portland, war auch für Agenten in anderen Städten zuständig.
Adam trompetete seine Mitgliedschaft nicht in die Welt hinaus – ein Agent hatte darüber Diskretion zu wahren und auch sein Abzeichen zu verbergen. Aber die meisten Leute hier wussten es, und er war sicher, dass ihm diese Tatsache einen Status verschaffte, wie er ihn als einfacher Geistlicher nicht erreicht hätte. Ein Pfarrer in der Organisation war vielleicht etwas ungewöhnlich, aber er war vermutlich nicht der Einzige.
Jetzt lehnte er sich im Stuhl zurück, um sich den Inhalt des wöchentlichen Berichts zu überlegen. In der Regel identifizierte er jene Leute, die er für unpatriotisch hielt – Drückeberger, Faulenzer und solche, die keine Kriegsanleihen kauften oder sich nicht an die empfohlenen Rationierungen hielten. Er notierte mitgehörte Gespräche, die auf Aufwiegelei oder Kriegsgegnerschaft hinwiesen. Jeder, an dessen Patriotismus es auch nur den leisesten Zweifel gab, wurde einer Überprüfung unterzogen. Mae Rumsteadt hatte er bereits mehrmals in seinen Berichten angezeigt, weil sie weder Kriegsanleihen kaufte noch die Nahrungsmittelrationierung befolgte. Fremde und Ausländer standen auf der Liste der zu beobachtenden Personen ebenfalls ganz oben, wenngleich es hier keine Ausländer gab.
Diese Woche hatte er ein ganzes Bündel Notizen zu bearbeiten, aber vor allem ein Name spukte ihm die ganze Zeit im Kopf herum.
Cole Braddock.
Gegen Braddock hatte er im Grunde nichts Konkretes vorzubringen. Dass er vom Kriegsdienst verschont blieb, passte Adam nicht in den Kram, wurde von staatlicher Seite jedoch gebilligt. Aber irgendetwas musste es doch geben. Mit seiner ganzen Haltung hatte Braddock ihm gegenüber immer wieder Feindseligkeit und Verachtung gezeigt. Adam mochte ihn nicht, das stimmte, seine Abneigung war jedoch nicht von Stolz, Neid oder persönlicher Feindschaft getrieben. Nein, wirklich nicht. Cole Braddock hatte etwas Unpatriotisches an sich, und Adam würde herausfinden, was es war.
Adam arbeitete stets für das Wohl des Landes. Und auch wenn er nicht dem Expeditionskorps angehörte, war er dennoch ein Soldat in der Armee Gottes.
Er beugte sich vor, tauchte erneut die Feder ein, und begann zu schreiben.
Jessica schob Cole von sich weg. »Hör auf«, verlangte sie, ihr Gesicht kribbelte von seinen Bartstoppeln. »Wir werden das nicht tun!«
Er setzte sich auf die Fersen und sah sie an, die Augen erfüllt von einem Gefühl, das sie nicht bezeichnen konnte – stärker als Begehren, glühender als Lust. Sein Atem kam in kurzen, stoßartigen Zügen, und ihr wummerte das Herz wie Donner in der Brust. Mit zitternder Hand strich sie sich das Haar aus dem Gesicht.
»Amy, meine Schwester,
deine Zukünftige
, liegt in der Schulturnhalle auf einem Feldbett, ihr Leben hängt am seidenen Faden, und du … ich …«, stammelte Jessica und verstummte. Schließlich sagte sie: »Wie kannst du es wagen?«
Mit finsterer Miene stand er auf. Der kleine Raum war ganz von seiner Präsenz erfüllt, und Zorn pulsierte zwischen ihnen. »Warum bist du nicht nach Hause gekommen? Ich habe dich schon so oft gefragt, aber du hast mir nie eine richtige Antwort darauf gegeben. Du hast versprochen, du kommst zurück und heiratest mich. Stattdessen hast du mich über ein Jahr lang zappeln lassen, und dann kam aus heiterem Himmel dieses gottverdammte Telegramm von dir, in dem du mir mitgeteilt hast, ich soll nicht mehr warten.
Warum?
Und komm mir nicht mit diesem Quatsch von den Armen und Kranken. Warst du so damit beschäftigt, das Leid der Welt zu lindern, dass du gar nicht gemerkt hast, wie du andere verletzt?«
Jessica starrte ihn an. »Aus heiterem Himmel?
Aus heiterem Himmel?
« Vom Stuhl aufspringend marschierte sie in ihr Schlafzimmer und wühlte in einem Koffer herum. Sie warf Kleider und andere unausgepackte
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