Heimkehr am Morgen (German Edition)
es eine mondlose Nacht, sonst hätte er dich entdeckt, wie du dort im Blumenbeet gelegen hast. Und Amy kauerte in der Ligusterhecke, rang die Hände und weinte.« Wieder brach sie in schrilles Gekicher aus.
»Mein Gott, der hätte auf alles geschossen, was sich bewegte. Ich konnte nichts anderes tun, als dort zu bleiben und keinen Mucks zu machen, bis er in die andere Richtung ums Haus herum ging.«
»Dann sind wir
losgerannt
. Ich wusste gar nicht, dass ich so schnell laufen kann. Ich musste Amy am Arm packen und mitzerren, sonst hätte sie sich wahrscheinlich die ganze Nacht im Gebüsch versteckt.«
»Ich war ganz verkratzt von den Rosen. Sie hatten Dornen wie Pfeilspitzen.« Er blickte auf seine nackten Arme, die durch die hochgerollten Ärmel des Karohemds entblößt waren. Die Narben waren nicht mehr zu sehen, nur die Muskeln und Sehnen eines Mannes, der seit Jahren hart gearbeitet hatte.
»Du hattest Glück, dass du dir nicht den Hals gebrochen hast.«
»Wir hatten alle Glück, dass wir nicht erwischt wurden. Ich war mir sicher, Amy würde alles ausplaudern.«
»Das habe ich, ehrlich gesagt, auch gedacht. Sie ist so eine schlechte Lügnerin. Aber uns ist nie jemand auf die Schliche gekommen.«
»Ich hatte eine Mordsangst davor.«
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Du hast doch gesagt, du hättest in jener Nacht keine Angst gehabt.«
Er tat ihre Bemerkung ab. »Ja, ja, natürlich, das solltest du doch nicht wissen. Ich musste schließlich mein sechzehnjähriges Ego verteidigen. Aber der alte Leonard hätte mich garantiert seinen Hunden zum Fraß vorgeworfen. Mit ihm ist nicht zu spaßen.«
Schließlich verebbte ihr Lachen, wie ein Schaukelstuhl, der ganz allmählich ausschwingt. Die eintretende Stille war mit Händen zu greifen.
»Wir hatten ziemlichen Spaß damals, nicht wahr?«, sagte Cole mit einer bittersüßen Note in der Stimme.
Es war mehr als das gewesen. Sie hatten seit ihren Kindertagen eine gemeinsame Geschichte. »Und ob. Bevor alles … so kompliziert wurde.« Jess biss auf die Kruste ihres Sandwichs, aber die war inzwischen so ausgetrocknet, dass sie sie weglegte.
»Jess, ich wünschte, du wärst nach dem Tod deines Vaters hiergeblieben und nicht zurück nach New York gegangen.«
»Manchmal wünschte ich mir das auch. Ich habe in New York eine Menge gelernt, aber ich bin mir nicht sicher, ob das gut für mich war. Es hat mich meinen Seelenfrieden gekostet. Ich habe immer noch Albträume von den Dingen, die ich dort gesehen habe.«
Er sah ihr in die Augen und hielt ihren Blick fest, sodass sie wie gelähmt im Stuhl saß. »Nein, ich wünschte, du wärst heimgekommen – zu mir.«
Jessica spürte Beklemmung in der Brust, als würde ihr eine Faust das Herz abdrücken. Ihre Kehle wurde trocken und sie hatte das Gefühl, eine Klette verschluckt zu haben. »Warum fängst du ausgerechnet jetzt damit an?«
Zu ihrer unaussprechlichen Überraschung glitt er von seinem Stuhl und sank neben ihr auf die Knie. Ohne die Augen von ihr abzuwenden, streckte er eine seiner abgearbeiteten Hände zu ihr aus und strich ihr lose Haarsträhnen aus dem Gesicht. Dabei streiften seine Finger über ihre Wange, und sie bekam am ganzen Körper eine Gänsehaut, ein wohliger Schauder überlief sie. Dann wanderte seine Hand in ihren Nacken und zog ihr Gesicht zu seinem hinab. Sie spürte seinen warmen Atem, roch seinen Duft und hatte keine Kraft, ihn davon abzuhalten.
Sie wollte ihn nicht davon abhalten.
Seine Lippen berührten ihre, zögernd, tastend. In diesem Augenblick zählten all die Jahre nicht mehr, waren alle Verletzungen, jeder Verrat vergessen. Das war Cole Braddock, der Mann, den sie immer geliebt hatte. Sie konnte sich noch gut an seine Küsse erinnern, und doch fühlte dieser sich ganz neu an.
Schwer atmend zog sie sich zurück. »Das können wir nicht tun«, protestierte sie.
»Ich weiß«, sagte er, und dann küsste er sie noch einmal.
Kapitel 15
Adam Jacobsen saß an seinem Schreibtisch, ein leeres Blatt Papier vor sich. Derzeit gab es keine Sonntagspredigten zu verfassen. Heute Abend würde ihn ein Schriftstück anderer Art beschäftigen.
Draußen war die Oktobernacht hereingebrochen, und der Himmel war so klar, dass die Dunkelheit schwarz wie Samt wirkte. Seine Schreibtischlampe war die einzige Lichtquelle im Haus – er hatte sich unmittelbar nach seiner Rückkehr an diese Aufgabe gemacht. Nettie Stark war schon vor Stunden nach Hause gegangen.
Er nahm seinen Federhalter, tunkte ihn
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