Heimkehr am Morgen (German Edition)
Dinge hierhin und dorthin, bis sie fand, wonach sie suchte. Es war ein mit einer Schleife zusammengebundenesBündel Briefe, mit dem Telegramm, das ihrem Telegramm an ihn vorangegangen war, ganz oben.
Sie zog es aus dem Stapel und stürmte zurück in die Küche. Inzwischen hatte er angefangen, wie eine Wildkatze im Käfig in dem kleinen Raum auf und ab zu tigern, er konnte seine unbändige Wut kaum beherrschen. Sie hielt ihm den Umschlag unter die Nase. »Hier! Kommt dir das bekannt vor?«
Er riss es ihr aus der Hand. »Was ist das?«
»Das Telegramm, das
du
mir geschickt hast. Sein Inhalt hat mich nicht gerade verlockt, nach Hause zu kommen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie verraten ich mich fühlte, nach allem, was wir uns bedeutet hatten. Dann, ein paar Wochen später, bekam ich diesen fröhlichen Brief von Amy, in dem sie mir erzählte, dass du ihr den Hof machst!« Tränen liefen ihr übers Gesicht, und sie wischte sie ärgerlich mit dem Handrücken ab. »Gott, Cole, ich weiß nicht, wie du dich erdreisten kannst, dich nach diesem Telegramm wie der verletzte, sitzengelassene Verehrer aufzuführen.«
Er nahm die Nachricht aus dem Umschlag und las sie. Dann sah er sie an. Seine verdutzte Miene war fast überzeugend. »Das sehe ich zum ersten Mal.«
»Was … was …?« Wieder stolperte sie vor Frustration und Ungläubigkeit über die eigene Zunge. Sie zog ein Taschentuch aus der Rocktasche und putzte sich energisch die Nase. »Verkauf mich nicht für dumm. Du hast es geschrieben. Dein Name steht darunter. Es wurde hier im Telegrafenamt aufgegeben. Also wirklich, du willst doch nicht etwa behaupten, du hättest plötzlich Gedächtnisverlust, nur um …«
Er wedelte mit dem braungelben Blatt vor ihr herum. »Ich sage dir doch, ich habe das nicht geschickt. Ich habe es nicht geschrieben.«
Sie stopfte das Taschentuch in die Tasche, schnappte sich das Blatt Papier und las laut vor. »›Jessica, wollte dich zur Frau, weigere mich aber, auch nur einen Tag länger zu warten. Tut mir leid.‹ Wenn du es nicht geschickt hast, wer dann?«
Cole hatte das Gefühl, wie die kleine Alice aus dem Buch, das Susannah Tanner Grenfells Neffen vorgelesen hatte, sein Leben durch einen Spiegel zu sehen. Nichts ergab einen Sinn, alles schien auf dem Kopf zu stehen. Er wusste, dass er das Telegramm nicht geschickt hatte, aber hier stand es, schwarz auf vergilbtem Papier.
»Du hast also dieses Telegramm bekommen«, sagte er und nahm es ihr wieder ab. »Und daraufhin hast du mir telegrafiert, ich soll nicht auf dich warten.«
»Was hätte ich denn sonst tun sollen?« Ihre Stimme klang rau, und unvermittelt setzte sie sich.
Er erinnerte sich noch an jenen Tag im Mai. Sehr lebhaft sogar. Er war bei Tilly’s gewesen und hatte sich derart betrunken, dass Tilly ihn mit einer Decke und einem Eimer auf die hintere Veranda des Saloons verfrachtet hatte. Zumindest war er dort am nächsten Tag aufgewacht, mit einem Kater, der einen Büffel umgebracht hätte. Während der Nacht hatte es geregnet, die Decke war feucht und schwer, und er hatte sich hundeelend gefühlt. Der Kater wäre schon schlimm genug gewesen, aber ihm war, als hätte er einen Tritt auf die Brust bekommen. Einen Tritt ins Herz.
»Da hat uns jemand einen üblen Streich gespielt, Jess.«
Sie verdrehte die Augen. »Das ist lächerlich. Wer sollte so etwas tun?«
»Ich weiß nicht, wer es getan hat und warum, aber es ist geschehen.« Er sah den Schmerz und die Gewissheit, betrogen worden zu sein, in ihren Augen. Und er sah, dass sie kein Wort von dem glaubte, was er sagte. »Ich hätte mich nie um Amy bemühen sollen – ich hätte mich nie um Amy
bemüht
, wenn du mir nicht dieses Telegramm geschickt hättest.«
»Dann ist es also meine Schuld?« Sie nahm die trockenen Brotkrusten und warf sie in einem kindischen Anfall nach ihm. Er ignorierte es.
»Nein, das habe ich nicht gesagt. Aber ich werde der Sache auf den Grund gehen.« Er faltete das Telegramm und steckte es in seine Hemdtasche. »Das muss ich eine Weile behalten.«
Aufgebracht streckte sie die Hand aus. »Nein, es gehört mir. Gib es zurück.«
»Und was zusammengehört, soll man nicht trennen, oder?«
»Was soll das nun wieder heißen?« Sie griff nach ihm, aber er wich zurück und legte schützend die Hand auf die Hemdtasche.
»Dieses Telegramm und deine Wut auf mich. Die sind für dich untrennbar, du willst keins davon aufgeben.«
Bestürzt, weil er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte,
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