Heimkehr am Morgen (German Edition)
Garderobenständer neben dem Eingang und schlüpfte hinein. Adam war im Lauf des Tages hier gewesen und dann gegangen, um eine Beerdigung zu halten. Vielleicht konnte sie sich schnell aus dem Staub machen, bevor er zurückkam.
Die schwarze Tasche in der Hand, schlich sie zur Tür, spähte durch die Scheibe in die Dämmerung und versuchte zu erkennen, ob Adam in der Nähe war. Da flog unvermutet die Tür auf und Adam stand vor ihr.
Mit einem bestürzten Aufschrei machte sie einen Satz rückwärts. »Adam! Du hast mir einen Riesenschrecken eingejagt, hier einfach so reinzuplatzen!«
»Oh, entschuldige. Ich wollte nicht, dass du denkst, ich hätte dich vergessen.«
Gott bewahre, das würde sie nie denken, ärgerte sie sich stumm. Sie überlegte, in anzulügen und zu sagen, dass sie nur kurz Luft schnappen wollte, aber sie hatte ja ihre Tasche dabei. Egal, es hätte sowieso nichts genützt. Er war wie eine lästige Stechmücke, die sie nicht loswurde. Sie wünschte mit jedem Quäntchen ihrer verbliebenen Energie, sie hätte seine ach so harmlosen Geschenke undAufmerksamkeiten abgewiesen. Kühl entgegnete sie: »Da hatte ich gar keine Angst.« Ihre mangelnde Begeisterung schreckte ihn kein bisschen ab.
Er grinste breit, und dabei schien seine Adlernase auf seinem Mund zu deuten. »Das ist gut. Ich freue mich immer auf unsere kleinen Spaziergänge, weil ich mich gern mit jemandem unterhalte, der weiß, worum es bei diesem Kampf geht.«
»Was für einen Kampf meinst du?«, fragte sie, als er sie die Treppe hinunterbegleitete.
»Die Grippe natürlich.« Sie kamen an Häusern mit dunklen Fenstern vorbei, wo die Menschen um diese Zeit sonst gemütlich am Abendbrottisch saßen, in ihrer hell erleuchteten Küche, deren warmer Schein auf das ganze Haus abstrahlte. Heute Abend sah man nur in vereinzelten Fenstern ein trübes Licht wie in einem Krankenzimmer. Andere Häuser waren komplett dunkel.
»Was glaubst du denn, worum es geht?«, fragte sie, neugierig auf seine Antwort.
»Darüber habe ich viel nachgedacht, seit die Epidemie ausgebrochen ist. Zugegeben, zuerst hatte ich Angst, wie ich dir damals ja erzählt habe. Aber jetzt glaube ich, dass es Gottes Werk ist. Gewiss hat er auch einige Gerechte zu sich gerufen. Aber hauptsächlich sortiert er die Sündigen aus. So steht es schon in der Offenbarung.«
Jessica blieb jäh stehen, sie war entsetzt. »Und du denkst, dass ich deine Meinung teile?«
Auch er blieb stehen, einige Schritte vor ihr, und drehte sich um. Die Straßenlaterne warf dunkle Schatten auf sein Gesicht. »Tust du das etwa nicht? Du siehst die Hand Gottes jeden Tag, wie er diejenigen verstößt, die ihm missfallen. Nimm zum Beispiel Nate Pellings. Bis zum Augenblick seines Todes habe ich ihn beschworen zu bekennen, dass er ein elender Sünder sei, weil er spielte und trank. Ich sagte ihm, wenn er nicht bereue, müsse er für seine Sünden und Missetaten teuer bezahlen. Er weigerte sich. Gestern habe ich ihn beerdigt.« Er wirkte beinahe zufrieden.
Er war wahnsinnig, dachte Jessica, entsetzt über die Vorstellung, dass er ihre Patienten im Todeskampf unter Druck setzte.Wahnsinnig und anmaßend in seiner Grausamkeit. Weil sie seine Gesellschaft keine Sekunde länger ertragen konnte, fuhr sie ihn an: »Ich bin
überhaupt
nicht deiner Meinung!«
Sie hastete an ihm vorbei und steuerte auf die schützenden Wände ihrer Wohnung zu.
»Jessica!«, rief er und lief ihr nach.
Sie rannte fast, um ihn auf Abstand zu halten, so sehr lag ihr daran, von ihm wegkommen. Aber er war größer und machte viel längere Schritte. Bald hatte er sie eingeholt.
Vor der Schmiede packte er sie am Arm. »Was um Himmels willen hast du denn?«
Wieder blieb sie stehen, behindert durch seine Hand. »Adam, lass mich los.«
»Was macht dich so wütend?«, wollte er stirnrunzelnd wissen. »Du hast mich doch selbst um meine Meinung gebeten. Kannst du denn wirklich sicher sagen, dass diese Epidemie nicht Gottes Werk ist?«
So sehr sie auch zog und zerrte, sie bekam ihr Handgelenk nicht frei. »Unglücklicherweise kann ich dich nicht davon abhalten, ins Krankenhaus zu kommen. Aber wenn ich krank wäre und Angst vor dem Sterben hätte, wärst du der letzte Mensch, den ich an meinem Bett sehen wollte!« Ihr Atem kam in schnellen Stößen und ihr Herz raste. Doch der Zorn löste ihr schließlich die Zunge. »Du bist wie der Sensenmann, der sich die Seelen holt. Fehlt nur noch die schwarze Kapuze und die Sense. Du bist kein Vertreter
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