Heimkehr am Morgen (German Edition)
zweimal blickte er über die Schulter zurück, wie um sich zu vergewissern, dass Cole ihm nicht hinterherkam.
»Oh nein«, stöhnte Jessica, als sie ihm nachsah. »Dieser schreckliche Mensch! Er wird es allen erzählen.«
Cole war ebenfalls errötet und holte mehrmals tief Luft, dann umschloss er seine geballte Faust mit der anderen Hand. Auch er verfolgte Adams Rückzug. »Ich weiß, dass er versuchen wird, Ärger zu machen, aber was kann er schon sagen? Dass er gesehen hat, wie ich dir in den Lastwagen geholfen habe? Wir wissen, was letzte Nacht passiert ist, aber er doch nicht. Er hat nur schmutzige Vermutungen. Wie gewöhnlich.«
»Wahrscheinlich hat er gesehen, wie wir uns geküsst haben. Vielleicht. Ich bin nicht sicher.«
Er drehte sich zu ihr und sah ihr ins Gesicht. »Hat er dir wirklich einen Antrag gemacht?«
»Ja«, entgegnete sie mit matter, angewiderter Stimme.
»Und?«
»Was meinst du mit ›und‹?«
»Was hast du gesagt?«
»Ich glaube, ich habe nie klipp und klar abgelehnt. Aber ich habe ihm erklärt, dass ich keine gute Ehefrau für ihn wäre. Er hatte sich schon alles ausgemalt – sogar, wie wir dereinst zusammen im Himmel sein würden. Selbstverständlich sollte ich meinen Beruf aufgeben, um ihn bei seiner Arbeit zu unterstützen. Kannst du dir vorstellen, wie ich Tombolas und Quilt-Wettbewerbe organisiere?«
Cole löste seine Faust und lachte kurz und freudlos auf. »Nein.«
»Ich auch nicht, und das habe ich ihm ebenfalls deutlich gemacht. Außerdem weiß ich inzwischen selbst, dass du recht wegen ihm hattest.« Wieder einmal warf er ihr einen wissenden Blick zu, den sie mit hochgezogenen Augenbrauen und einem resignierten Schulterzucken quittierte. »Trotzdem hat er sich irgendwie eingebildet, ich hätte eingewilligt. Das war einer der Gründe, warum wir gestern Abend gestritten haben, als du dazugekommen bist. Ich habe ihm gesagt, dass wir
nicht
verlobt sind. Allerdings frage ich mich, was er um diese Uhrzeit hier zu suchen hatte.«
Cole dachte einen Augenblick darüber nach, und ihm fielen ein paar Dinge ein, die ihm kalte Schauer über den Rücken jagten. Er machte eine Kopfbewegung zum Beifahrersitz des Lastwagens, und sie ließ sich von ihm hineinhelfen. »Nimm dich vor ihm in Acht.« Er wollte ihr keine Angst machen, fand jedoch, sie sollte von seinem Verdacht wissen. »Er war vielleicht schon die ganze Nacht hier und hat uns beobachtet.«
Sie starrte ihn an. »Das ist doch lächerlich. Es – es ist unheimlich.«
»Ja, aber vergiss nicht, von wem wir hier reden, Jess. Ist dir nicht aufgefallen, dass er noch die gleichen Sachen anhatte wie gestern?Und als wir oben waren, hat sich Roscoe auf einmal die Seele aus dem Leib gebellt, wahrscheinlich wegen Jacobsen. Deshalb schien er auch wie aus dem Nichts aufzutauchen. Er war nämlich schon da.«
Jess zitterte. »Und hat uns beobachtet?«
»Ja. Um zu sehen, wer zu welcher Uhrzeit kommt und geht. Oder um etwas anderes auszuspionieren.« Er umrundete die Motorhaube und drehte ein paarmal an der schwergängigen Kurbel. Als der Motor rumpelnd ansprang, kletterte er in den Wagen und betätigte die Starterklappe.
»Ich habe keine Angst vor ihm. Er kann mir nichts anhaben, und ich lasse mich von seinen Drohungen nicht einschüchtern.«
»Trotzdem, nimm dich in Acht.« Er warf einen kurzen Blick durch die Scheibe, dann ergriff er ihre Hand, die auf ihrem Schoß lag. »Jess, wenn es wegen gestern Nacht irgendwelche Schwierigkeiten gibt, sei es durch ihn oder jemand anderen, dann kannst du auf mich zählen, das sollst du nur wissen. Es tut mir nicht leid, was wir getan haben, und ich schäme mich auch nicht dafür.«
Jess sah ihn an und drückte ihm die Hand. Wieder wusste er, dass sie ihm glaubte, weil sie ihm direkt ins Herz schauen konnte.
Für den Augenblick würde ihm das genügen müssen, um alles, was vor ihnen lag, durchzustehen.
Für Jessica verliefen die nächsten zwei Tage mehr oder weniger so wie alle seit Beginn der Epidemie. Die endlose Abfolge kranker, sterbender und genesender Patienten raubte ihr jedes Zeitgefühl. Dass ein neuer Tag anbrach oder verstrichen war, merkte sie nur am Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang.
Sie hatte keine Ahnung, wo Adam steckte, war jedoch dankbar, dass er seit jenem schrecklichen Morgen, als sie sich zuletzt begegnet waren, dem Krankenhaus ferngeblieben war. Falls seine Abwesenheit jemandem auffiel, wurde nicht darüber geredet.
Auch Cole hatte sie nicht mehr gesehen, aber er
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