Heimkehr der Vorfahren
Gemüsepflanzen wuchsen, die Romain nicht kannte. Er sah Blumen von unbeschreiblicher Farbenpracht und Obstbäume, die nur aus Früchten zu bestehen schienen.
Narka Chricole störte ihn nicht im Schauen. Nur wenn er sie fragend ansah, gab sie eine kurze Erläuterung.
Noch während der Gratulantenzug durch alle Straßen der Stadt zog, betraten sie als die ersten Jubiläumsgäste den Wirtschaftshof, einen weiten, mit Platten belegten Platz, in dessen Mitte eine Fontäne aufstieg. Das Becken war von Blumen umkränzt. Im Hintergrund erhob sich ein großes Wohngebäude aus Glas und Kunststoff mit einer Terrasse. Zu beiden Seiten standen Institute, Labors und Maschinenhallen. Überall auf dem Platz und auf der Terrasse erblickte Romain gedeckte Tische.
Romain fiel von einer Verwunderung in die andere. Weiß der Himmel, man wußte zu leben im vierundzwanzigsten Jahrhundert. »Wie lange dauert das Fest?« fragte er. »Sicher zwei Tage«, erwiderte Narka Chricole. »Und wer macht die Arbeit, wenn die ganze Stadt feiert?« Sie sah ihn verständnislos an.
»Zwei Tage Produktionsausfall!« sagte er bedeutungsvoll.
»Wieso? Die Produktion läuft automatisch, sie wird von wenigen Ingenieuren überwacht.«
Da er noch nicht begriff, erläuterte sie ihm, daß der gesellschaftliche Arbeitsanteil des einzelnen monatlich nur wenige Stunden betrug. »Die lassen sich bei solcher Gelegenheit doch so verteilen, daß jeder am Fest teilnehmen kann. Die schöpferische Arbeit aber, der wir die meiste Zeit widmen, ist sozusagen in keine Stundenschablone zu zwingen.«
Romain beeilte sich zu nicken. Er schämte sich seiner vorschnellen Frage, schließlich hatte er gewußt, wie heute die Arbeit aufgeteilt war, er hätte sich die Antwort selber geben können. Es genügte eben nicht, etwas zu wissen, man mußte es auch anwenden können.
Ihm blieb keine Zeit zu grübeln. Eine hochgewachsene Frau trat aus der Tür auf die Terrasse, erblickte die Besucher und eilte ihnen entgegen.
»Tante Narka!« rief sie mit einer donnernden Baßstimme. »Das ist eine Überraschung… Herzlich willkommen!«
Während sich die Frauen begrüßten, hatte Romain Zeit, Mutter Suzanne zu betrachten. Sie war, wie nicht anders erwartet, erheblich größer als er und sah aus wie eine gepflegte Fünfzigerin. Weiß der Himmel, wurden denn die Zeitgenossen überhaupt nicht mehr richtig alt? Er hatte tatsächlich bisher noch keinen gebeugten Greis gesehen mit einem verwelkten, von Runzeln zerfurchten Gesicht.
Narka Chricole löste sich aus der Umarmung. »Na, altes Mädchen, was macht der Enzian?«
»In den Bergen blüht er, und mir hier unten schmeckt er und erhält mich gesund!« Mutter Suzanne lachte, daß es dröhnte.
Narka Chricole wies auf Romain. »Einen hohen Gast habe ich dir mitgebracht, Suzanne…«
»Ich werde alt, weiß der Teufel!« sagte Mutter Suzanne und schüttelte Romains Hand, mit einer Kraft, daß ihm die Finger schmerzten. »Genosse Romain! Wo ich nur meine Augen hatte? Ihr Besuch ehrt mich sehr, Genosse Romain, die Stadt und mich. Sie sind mein Ehrengast. Wie ich mich freue – das ist mein schönstes Geschenk!« Und ehe Romain ihr gratulieren konnte, klatschte sie in die Hände und rief mit ihrer tiefen Stimme: »Jacquelaine, wo steckst du nur? Komm, mein Kind, komm schnell!«
Ein junges Mädchen stöckelte die Treppe herab. »Wo brennt’s denn schon wieder?«
»Die Jugend…«, sagte Mutter Suzanne grollend. »Waren wir auch so?«
Narka Chricole lächelte amüsiert. »Mindestens, Suzanne!«
»Meine Großnichte«, stellte Mutter Suzanne das Mädchen vor. »Jacquelaine, nimm dich unseres Besuches an.« Und zu Romain: »Wenn die Gratulationscour beginnt, kann ich Ihnen nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenken, bitte entschuldigen Sie das. Jacquelaine darf mich vertreten, ja? Sie wohnen bei uns, Jacquelaine zeigt Ihnen Ihr Zimmer. Wir sehen uns später, nicht wahr?«
Romain wollte sagen, daß er nicht lange zu bleiben beabsichtige. Da schob Jacquelaine ihren Arm unter den seinen. »Kommen Sie, Genosse Romain, widersprechen Sie Großtante Suzanne nicht zum Jubiläum. Sonst trinkt sie nachher keinen Enzian mit Ihnen.«
»So ein Racker!« schimpfte Mutter Suzanne. »Nehmen Sie sich in acht, Genosse Romain, sie hat keine Achtung vor dem Alter.«
Jacquelaine drückte seinen Arm. »Tragen Sie es ihr nicht nach«, flüsterte sie, »es war unbedacht. Wir haben debattiert, damals, als die Kosmos landete, und Tante steht heute noch auf dem Standpunkt, man müsse
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