Heimkehr der Vorfahren
vor, die Worte dagegen klangen ausnehmend hölzern. Beides wäre zu seiner Zeit auf Ablehnung gestoßen.
Er beobachtete Jacquelaine. Ihr Gesicht verriet, daß sie sich dem Vortrag mit Genuß hingab und jedes Wort und jeden Ton mit einer wahren Beglückung in sich aufnahm. Der Beifall glich einem Orkan. Auch Jacquelaine klatschte wie besessen.
»Was war das?« fragte Romain, als der Applaus nachgelassen hatte.
»Ein Duett aus der Oper ›Die Sternenbraut‹ von Logetschi – eine klassische Oper. Aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert.«
Erschrocken bemerkte Romain, daß sowohl die Zuschauer als auch die Sänger auf der Bühne und das Orchester sich ihm zugewandt hatten und applaudierten. Er wurde verlegen und verbeugte sich linkisch. Wie konnte er sich einen Abgang sichern, ohne überheblich zu wirken, ohne die Menschen zu verletzen? Was schrieb die Sitte vor? Er spürte, wie seine Stirn feucht wurde. »Was muß ich tun?« flüsterte er.
Jacquelaine zog ihn durchs Publikum, das sofort eine Gasse öffnete, zur Bühne. »Bedanken Sie sich bei den Sängern. Das Duett war eine Aufmerksamkeit für Sie!« raunte sie ihm zu.
Romain gab den Solisten und dem Dirigenten die Hand. Jacquelaine führte ihn danach aus dem Kreis der Zuhörer. Doch mit der Unbekümmertheit war es vorbei. Wohin Romain auch kam, ob er an einem der Stände mit einer Lichtpistole aus fünf Meter Entfernung ein Lochmuster in Zierschablonen »schoß«, wie es die Regel vorschrieb, ob er mit Jacquelaine durch den Park schritt – wohin er kam: Beifall, achtungsvolles Beiseitetreten.
»Es ist nicht einfach, heute ein bekannter…« Er zögerte.
»Sie sind der prominenteste Gratulant, Genosse Romain!«
»Ist denn kein Regie… ich meine, Ratsvertreter anwesend?« fragte er. Zu einem hundertjährigen Jubiläum hätte sich das gehört!
»Natürlich, der Vorsitzende des Regionalen Rates, er stand an der Bühne in Ihrer Nähe.«
»Und ihm applaudierte keiner?«
»Er ist Gast wie alle anderen und möchte ungestört teilnehmen.«
»Bin ich kein Gast wie alle anderen?«
»In Ihnen grüßt man das vergangene Jahrhundert und Ihre Genossen. Sie tragen doch die Kosmos-Kleidung!«
»Wäre es anders, trüge ich Zivil?«
»Gewiß. Gefällt Ihnen denn die Aufmerksamkeit nicht?«
»Sie liegt mir nicht!«
»Dann kommen Sie mit!«
Jacquelaine brachte ihn in sein Zimmer, hieß ihn warten, kam nach einer Weile mit einem Gratulanten zurück und machte die beiden Männer bekannt. Der Fremde war der Bekleidungsspezialist der Stadt.
Während er Romains Maße nahm, holte Jacquelaine aus ihrem Vorrat einen kleinen Ballen silbergrauen Stoff und brachte einige Geräte. »Gefällt er Ihnen?« Sie breitete den Stoff vor Romain aus. »Diese Farbe schützt Sie vor Ovationen. Sie ist völlig neutral, läßt Ihnen aber freie Hand. Sie ist abwartend.« Sie blickte ihn, unsicher, ob er sie verstanden habe, fragend an.
Romain nickte. Mit den Farben wußte er einigermaßen Bescheid. Wenn ihn nicht alles täuschte, dann verriet das Kleid, das Jacquelaine seit Mittag trug, Sympathie. Oder war der rotseidene Glanz im Faltenwurf des grünen Kleides bedeutungslos?
Jacquelaine ließ die Männer allein. Romain entledigte sich der Uniform, während der Bekleidungsspezialist den Stoff zuschnitt, auf Romains Körper anpaßte und zusammenklebte. Dann schaltete er den Fernseher ein und winkte Romain, vor den Bildschirm zu treten.
Romain gefiel sich leidlich, hatte aber das Gefühl, er wäre für eine so moderne Kleidung zu antiquiert. Woran mochte es liegen? Hatte er sich zu sehr an die Kosmos-Uniform gewöhnt?
Jacquelaine fand es sofort heraus. Indessen schien sie nicht viel von Diskussionen zu halten. Sie fragte: »Gestatten Sie?«, zog Romain zum Sessel, griff zu einem bürstenähnlichen Gerät und fuhr ihm damit ohne Umstände durch die Haare. Schließlich stäubte sie ihm ein Haarmittel auf die Frisur.
Romain erkannte sich kaum wieder. Sein Mittelscheitel war verschwunden, unter Wellen begraben. So jung war er ja gar nicht, wie er jetzt aussah! Aber je länger er sich bestaunte, desto besser gefiel ihm die Frisur. »Einverstanden?« – fragte Jacquelaine.
Er lachte.
»Wenn ich das bin, ja!«
Am Abend verwandelten sich der Park und die Plantage in eine phantastische Welt bunter Grotten. Jeder Besucher erhielt einen leuchtenden Knopf zum Anstecken. Es sah aus, als wimmelte es im Park von Glühwürmchen. Überall flammten versteckt angebrachte farbige Lämpchen auf, so daß es Romain vorkam, als wäre er
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