Heimkehr der Vorfahren
»Wohin ist er gefahren?«
»Er wünscht nicht, daß das bekannt wird. Die Leitung billigt die Reise.« Vena wurde aschfahl. Sie drehte sich brüsk um. »Komm!« sagte sie zu Pala und ging davon.
XVIII
Romain lag im Sessel eines Straßenschwebers und starrte vor sich hin. Nur mechanisch nahm er die vor den Fenstern vorüberfliegende Landschaft wahr.
Jetzt, da er sich von der Siedlung gelöst hatte, fühlte er sich unsicher. War sein Entschluß richtig? Glich seine Abreise nicht einer Flucht? War das Problem gelöst, wenn er vor Vena weglief? Sich zu trennen war gewiß notwendig – vielleicht aber hätte er vorher mit Vena sprechen sollen. Da sah er wieder das Gesicht dieses Sajoi vor sich. »… heute ist das unerwünscht.« Daß Vena ihn in diese Lage bringen konnte… Sie mußte doch die Folgen voraussehen! Hatte sie sich bewußt über die Verhaltensnormen hinwegsetzen wollen – oder sah er etwa Grenzen, wo es keine gab? Er fand keine Antwort, sosehr er auch grübelte. Es wurde Zeit, die Gegenwart kennenzulernen!
Am Straßenrand huschten farbige Tafeln vorüber. Romain achtete nicht darauf. Er wurde erst aufmerksam, als der Straßenschweber seine Fahrt verzögerte und überraschend neben einem Rasthof hielt. Sosehr er sich bemühte, er bekam das Fahrzeug nicht wieder in Gang. Unschlüssig stieg er aus und ging um die Kabine herum. Sie stand jetzt auf kleinen Rädern; man konnte sie notfalls in eine Garage schieben.
Er stieg wieder ein, wählte die Kennziffer für Paris auf der Fahrzieltastatur und drückte dann auf »Fahrt«, doch der Schweber rührte sich nicht. War hier etwa eine Unterbrechung der Fahrt vorgeschrieben?
»Kann ich Ihnen helfen, Genosse Romain?«
Romain wandte sich um. Eine ältere Dame stand hinter ihm. Ihr sympathisches Lächeln nahm ihn sofort gefangen. Aber ob sie sich in technischen Dingen auskannte?
»Der Wagen springt nicht an«, sagte er. »Das kann er auch nicht.« Sie zeigte in die Richtung, aus der er gekommen war. »Haben Sie die Schilder nicht beachtet? Hier ist eine Sperrstrecke. Eine Revision der Relaisanlagen, kleinere Reparaturen.«
»Und wie lange werde ich festsitzen?«
»Für den, der es eilig hat, stehen Radfahrzeuge mit Eigenantrieb zur Verfügung.«
Romain blickte sich um. Der Platz vor der Raststätte war leer.
»In der Fahrzeughalle hinter dem Haus stehen die Wagen. Man muß aber zur Bedienung zugelassen sein, Sie verstehen. Haben Sie es sehr eilig, oder können wir zuvor etwas zu uns nehmen?« Die alte Dame wies einladend auf die Raststätte.
»Im Grunde habe ich Zeit«, sagte er. »Sehr viel Zeit! Ich bin ausgezogen, die Erde zu entdecken.«
»Als Gulliver sozusagen?«
Romain lachte. »Ja, zu Besuch bei den Riesen.«
Sie überging seine Bemerkung. »Wohin wollen Sie?«
»Zuerst nach Paris«, sagte er leichthin.
»Das trifft sich gut«, meinte sie und führte ihn zum Rasthaus. »Ich fahre in dieselbe Richtung. Mutter Suzanne feiert ihr hundertjähriges Berufsjubiläum.«
Er sah sie fragen an.
»Die Leiterin der berühmtesten Hydroplantagen Mitteleuropas, und ich bin eingeladen. Wenn Sie wollen – ich würde mich freuen, führen Sie mit mir!«
»Ich kenne Frau Suzanne doch gar nicht.«
»Ist das nötig? Es wird ein Volksfest, da machen alle mit. Paris läuft Ihnen nicht davon.«
»Aber ich habe kein Geschenk!«
»Das ist nicht erforderlich. Der Glückwunsch eines Heimkehrers – was glauben Sie, wie Mutter Suzanne sich darüber freuen würde!«
Romain überlegte. Gab ihm eine solche Feier nicht einen tiefen Einblick in die Neuzeit, würde sie ihn nicht vor allem auf andere Gedanken bringen?
»Wenn Sie meinen?« sagte er, noch immer unschlüssig, als sie in der Raststätte Platz nahmen.
»Narka Chricole heiße ich, damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben. Geochemikerin. Übrigens können Sie ohne Bedenken mitkommen, Genosse Romain, Mutter Suzanne ist meine Nichte!«
Das überraschte ihn. Hundertjähriges Berufsjubiläum, überschlug er schnell, dazu die Grundausbildung – Mutter Suzanne war demnach mindestens 126 Jahre alt. Wie alt mochte dann Narka Chricole sein?
Sie legte ihm die Speisekarte vor. Er überflog sie. Hinter Speisen mit unbekannten Bezeichnungen standen genaue Angaben über die chemische Zusammensetzung. Wer sollte sich darin zurechtfinden? Sogar die Weine trugen Angaben über Alkohol-, Äther-, Ester-, Säure-, Glyzerin- und Zuckergehalt und die Stickstoffverbindungen. Romain wußte damit wenig anzufangen. Hatten sie wirklich einmal
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