Heimkehr in den Palast der Liebe
sterben?" fragte Noor entsetzt.
"Wenn man von innen blutet, stirbt man normalerweise", erklärte Shakira sachlich. "Es bedeutet, dass man innere Verletzungen hat."
"Aber hast du denn niemanden gefragt?"
Shakira zuckte nur mit den Schultern.
Natürlich hatte sie gewusst, dass Frauen regelmäßig ihre Periode hatten, aber sie hatte irgendwie nie damit gerechnet, selbst davon betroffen zu sein. Keine Frau hatte jemals in ihrer Gegenwart davon gesprochen, weil sie ja als Junge galt, und was sie von Männern in dem Zusammenhang gehört hatte, waren nur typisch männliche Abwehrreaktionen. Frauen, die bluteten, waren extrem launisch und wollten keinen Sex. Frauen logen und behaupteten, dass sie bluteten, um ihre Männer zu bestrafen und Sex mit ihnen zu verweigern. Frauen, die keine Blutungen hatten, brachten wenige Monate später ein weiteres Kind in diese Welt voll Elend.
Es war also nichts, das man sich wünschte.
"Ich habe einfach bis jetzt nie daran gedacht, dass es auch mit mir etwas zu tun haben könnte. Wenn es regelmäßig gekommen wäre, ja dann … aber es kam einfach nie wieder."
"Wahrscheinlich weil du halb verhungert warst. Dein Körper konnte sich diesen Luxus gar nicht erlauben. Ich habe davon gehört, dass es Magersüchtigen genauso geht. Jetzt, da du ordentlich zu essen bekommst, fängt dein Körper an, normal zu funktionieren. Das ist gut, Shakira, denn wenn es nicht so wäre, dann könntest du niemals ein Baby bekommen."
Ein Baby. Shakira stand vor dem Spiegel und sah sich selbst in die Augen. Wäre das möglich? Würde sie – könnte sie eines Tages ein Baby gekommen? Wer würde der Vater sein?
10. Kapitel
Sie blieb vor einem Stand mit Süßigkeiten stehen und beobachtete mit den großen Augen eines faszinierten Kindes, wie eine Frau kleine, leckere Rechtecke auf einem Tablett arrangierte. Sharif sah, wie die Frau dem vermeintlichen Straßenjungen zulächelte und ihm ein Stück Limonengelee auf ihrem Spatel anbot.
Shakira nahm es und strahlte, so als ob sie tatsächlich der arme Straßenjunge wäre, für den die Frau sie hielt. Plötzlich drehte sie sich um und blickte direkt in seine Richtung. Sharif zuckte zusammen und senkte den Kopf. Shakira kaute genüsslich, bedankte sich höflich und ging weiter.
Sie hatte ihn nicht erkannt, zum Glück. Sharif wartete einen Moment und nahm dann mit etwas größerem Abstand die Verfolgung wieder auf. Die enge Gasse mündete in die Hauptstraße des Basars, ganz in der Nähe des Eingangstors, durch das man auf die Moschee blicken konnte. Die goldene Kuppel spiegelte das Sonnenlicht wider, und einen Moment lang war Sharif so geblendet, dass er Shakira fast aus den Augen verloren hätte. Er blieb stehen und blickte sich ratlos um.
"Verfolgst du mich etwa?" hörte er eine Stimme neben sich. Sharif schüttelte resigniert den Kopf. Da stand sie, mit kunstvoll verschmierten Wangen, verschmutzter Djellaba und bunter Häkelmütze, ein Outfit, wie es von Dutzenden anderer Bettlerkinder getragen wurde.
"Hallo, Hani", sagte er.
Sie lachte nervös. "Du gibst mir immer wieder meinen richtigen Namen."
Nicht wirklich. Jeder, der sie genauer betrachtete, musste merken, dass sie kein Junge war. Ihre Lippen waren voller geworden und ihr Ausdruck entspannter. Der locker sitzende Kaftan verbarg trotz allem nicht ganz die neuen Kurven an ihrem Körper. Und die Locken, die unter ihrer Kappe hervorlugten, waren zu gepflegt, zu glänzend … zu weiblich.
Lange blickte er sie einfach nur schweigend an. "Ist es denn dein richtiger Name?" fragte er schließlich.
Sie warf den Kopf zurück und sah ihn auf so unnachahmlich weibliche Art trotzig an, dass er sie am liebsten geschüttelt hätte. Wie konnte sie glauben, in dieser lächerlichen Verkleidung noch sicher zu sein?
"Manchmal."
"Nur manchmal?"
Früher hatte sie ihn mit ihren Rückfällen in das für Hani typische Verhalten immer zum Schmunzeln gebracht, und sie hatte ihrerseits das Gefühl gehabt, dass Sharif der einzige war, der sie verstand. Jetzt reagierte sie auf seine Frage so, wie Hani reagieren würde. Sie wurde aggressiv.
"Warum folgst du mir überhaupt? Was geht es dich an, was ich tue?"
"Irgendjemand muss schließlich auf dich aufpassen", erwiderte er.
"Aber nicht du!"
"Wer sonst weiß, dass du hier bist?"
"Warum muss sich überhaupt jemand darum kümmern? Es geht niemanden etwas an."
"Du weißt, warum. Weil du hier total leichtsinnig ein absolut unnötiges Risiko eingehst."
"Wieso?" widersprach
Weitere Kostenlose Bücher