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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Schweineschnitzel, wenn es sie gab, vom Pferd. Den Bäckern wurde unterstellt, sie würden die Rationen für Normalverbraucher auf dem Schwarzmarkt verschieben; von den Metzgern erzählte man, sie äßen schon zum Frühstück Speck und stopften ihre Babys mit Leberwurst. In den Warteschlangen vor den Läden und auf den Fluren der Ämter schimpften die Menschen im Flüsterton auf die Amerikaner und verteufelten lautstark die Demokratie. Sie scheuten sich nicht, öffentlich zu bejammern, dass sie sich »beim Adolf wenigstens hatten satt essen können«. Ungeniert schwärmten sie von der guten Butter, die ihre Ehemänner und Söhne aus dem besetzten Holland »nach Hause geschickt« hätten. Sie trauerten der »guten polnischen Knoblauchwurst« nach und der feinen belgischen Schokolade.
    »Und den Cognac aus Frankreich und den Lachs aus Norwegen wollen wir nicht vergessen«, höhnte Hans, als er auf der Berger Straße für fünfzig Gramm Fleischmarken die einmalige Zuteilung von fünfhundert Gramm Fisch (ungeputzt, mit Kopf und Schwanz) abholte. »Die Ironie«, beklagte er sich später bei Betsy, »hat keiner gemerkt. Ich hätte sie alle beuteln können, alle, wie sie da standen, diese Gesinnungssäue.«
    »Hungrige Menschen haben keinen Sinn für Ironie«, sagte Betsy. »Und Schamgefühl haben sie schon gar nicht. Das hab ich in Theresienstadt begriffen.«
    Böse und bösartige Geschichten machten die Runde. Das »Flüchtlingspack aus dem Osten, das uns das bisschen wegfrisst, das uns noch geblieben ist«, hätte Krätze und Läuse in den Westen eingeschleppt, die »Leut aus denen KZs« Fleckfieber, Cholera und Tuberkulose, und von den »Amis hat jeder zweite die Syphilis«. Von alten Menschen wurde berichtet, die in ungeheizten Stuben erfroren wären, von rachitischen Kindern, die ihre Eltern zum Betteln in die Sperrgebiete der Amerikaner tragen müssten, und von gewissenlosen Schiebern, die die Stärkungsmittel für untergewichtige Säuglinge und selbst Entlausungspulver auf dem Schwarzmarkt verhökerten. »Moral und Anstand nur auf Bezugsschein«, wusste der Volksmund.
    Ein jeder hatte Verwandte oder Nachbarn, die zum Wohl der darbenden Familie hamstern gefahren waren und denen Polizei und Feldjäger in den Bahnhöfen und Zügen die Hamsterbeute wieder abgenommen hatten. Auf dem Schwarzmarkt katapultierten die Preise in neue Höhen. Die sieche Reichsmark war nicht mehr das Papier wert, auf dem sie gedruckt war; nur aus »Amizigaretten« wurden Butter, Mehl, Kleiderstoffe, Schuhe und ein Stück Lebenswille. Und doch hungerten die Menschen nicht nach Brot allein. Sie standen stundenlang Schlange vor den wenigen Kinos, die wieder geöffnet waren, Zeitungen, die nur zwei Mal in der Woche erschienen, wurden von so vielen Leuten gelesen, dass sie aufgebügelt werden mussten. Mit leerem Magen, in Hut und Schal bibberten die Frankfurter im ungeheizten Börsensaal – und lachten Tränen, weil ein gewisser Herr Harpagnon mit Zipfelmütze in einem Lehnstuhl hockte und sorgenvoll in einen Nachttopf aus feinem Porzellan starrte. Siegfried Nürnberger hatte Molières unsterbliche Komödie »Der eingebildete Kranke« inszeniert. Für Theaterkarten standen die Menschen ebenso lange an wie für Brot, doch man war sich einig, dass die Strapazen sich lohnten. Zu Weihnachten gab es für die Kinder, die in den Trümmern spielten und die keine Väter mehr hatten, die Geschichte vom »Lügenpeter«.
    »Das ist ein Weihnachtsmärchen«, erklärte Betsy.
    »Kann man das essen?«, fragte Sophie, die noch nie eine Banane gesehen hatte.
    »Nur mit den Augen, aber mit den Augen zu essen macht noch mehr Freude als mit dem Mund«, wusste Betsy. Sie dachte an Victoria, die in der Nazizeit, als Juden noch nicht einmal mehr auf öffentlichen Bänken hatten sitzen dürfen, im Schutz der Dunkelheit zu den Festspielen auf dem Römerberg geschlichen war. »Ihr Leben für Florian Geyer aufs Spiel gesetzt«, murmelte Betsy, »das glaubt einem heute niemand mehr.«
    Obwohl sie rechtzeitig die Augen schloss, sah sie Victoria in Theresienstadt in den Zug steigen und hörte Salo nach der Mutter rufen. Victorias Tochter aber schickte sie mit Sophie zum »Lügenpeter« – die Stadt Frankfurt war bestrebt zu zeigen, dass die Zeiten anders geworden waren, und hatte dem jüdischen Altersheim zwei Karten zur Premiere geschickt. Für eine Märchenaufführung war allerdings bei Menschen, deren Enkelkinder im Konzentrationslager ermordet worden waren, kein Bedarf

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