Heimkehr in Die Rothschildallee
waren. Fritz schob den Store am großen Fenster zur Seite. Er presste seine Stirn gegen die kalte Fensterscheibe, atmete tief ein und spürte den Rausch, der Siegern die Sicht nimmt. In diesem Moment von Staunen und Jubel gab es für ihn nur noch Zukunft. Die Vergangenheit zerschellte wie das Glas, das bei jüdischen Hochzeiten zu Boden geworfen wird. Fritz sah sich als Bräutigam im Frack und mit schwarzen Lackschuhen unter dem Baldachin stehen. Er zerstampfte die Scherben und glaubte an das Glück ohne Ende. Vicky im weißen Hochzeitskleid war schön wie Helena, um deretwillen der Trojanische Krieg entbrannt war. Seine Mutter, die ihr Leben lang eine weinende Brautmutter als eine sentimentale jiddische Mamme verspottet hatte, tupfte ihre Augen trocken. Dieses eine Mal jedoch verschonte der Schmerz den, der nach hinten blickte. Doktor Friedrich Feuereisen, beauftragter Richter in Frankfurt am Main, für den der Präsident am Frankfurter Oberlandesgericht persönlich eine Wohnung zu suchen gedachte, schaute in den Himmel der Verheißung und lächelte der Gegenwart zu.
Es belastete ihn nicht, dass es Adelheid von Hochfeld war, die als Erste von der Wende in seinem Leben erfuhr. Es tangierte nicht sein Gefühl für Anstand und Redlichkeit, dass er mit ihr von seiner Zukunft sprach. Fritz nahm sich nicht mehr ins Kreuzverhör, er bereute keine Sünde, und er tat nicht Buße. In Adelheids Armen hatte er trainiert, sich nicht an den bitteren Pointen zu stoßen, die das Leben setzte.
»Jetzt kommt die Abschlussprüfung«, murmelte er. Ihm fiel nicht auf, dass er gesprochen hatte, er merkte nicht, dass er die Bilder zu den Akten legte, die lange nicht vergilben würden.
Sie presste ihre Hände so fest aneinander, dass die Knöchel weiß unter der Haut leuchteten. »Was«, fragte sie, »heißt denn in Ihrem speziellen Fall bis auf Widerruf? Das klingt so vorübergehend.«
Die Spur von Hoffnung in ihrer Stimme erreichte nur seine Ohren. Er tat es Odysseus gleich und ließ sich an den Mast binden. Für den, der den Weg kannte, den er gehen wollte, zählten allein Aufbruch und Neubeginn. Es war also kein Zufall gewesen, dass er vor vier Wochen in der »Neuen Zeitung« das Gedicht »Stufen« von Hermann Hesse gefunden und – dem Beispiel seiner Jugend die Treue haltend – auswendig gelernt hatte. »Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum Abschied sein und Neubeginne. Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern in andere, neue Bindungen zu geben.«
Fritz Feuereisen war bereit. Kehrte er auch nicht nach Hause zurück, so doch in die Stadt seiner Geburt. Er war dabei, ein neues Kapitel aufzublättern. Kein Flüchtling würde er mehr sein, nicht ein Moffe in Amsterdam, dem man die Wurzeln abgeschlagen hatte und der mit gesenktem Kopf und in einer Sprache, die ihm steinschwer auf der Zunge lag, weil sie nicht die seine war, um Arbeit und Obdach bat.
Nie mehr würde Fritz es zulassen, dass ihn der Abschied von einer Frau schmerzte, dass ihre Illusionen ihn davon abhielten, das zu tun, was er für richtig hielt. Er hatte gelernt, vor der Wehmut zu fliehen, ehe aus ihr Trauer und Verzweiflung wurden, und er wusste, wie ein Mann, der nur seine Tochter noch lieben konnte, sich vor der Liebe zu schützen hatte. Es wurde Fritz leicht, die anzuschauen, die gehofft hatte, das Leben hätte ein Einsehen mit denen, die liebten. »Ich bin nicht mehr richtig vertraut mit den Finessen vom Beamtendeutsch«, sagte er und konnte gar wie ein Mann lächeln, für den Schmerz nur ein Leiden des Körpers ist. »Doch ich nehme an und setze mit Bestimmtheit voraus, dass ›bis auf Widerruf‹ der gängige Ausdruck bei der Einstellung eines Richters ist. Man hat sehr schnell auf meine Bewerbung reagiert.«
»Unglaublich schnell. Das hätte ich nie für möglich gehalten.«
»Ich schon gar nicht. Ich war ja erst im September beim Oberlandesgericht, aber die deutsche Justiz sucht, wie man mir ganz offen sagte, händeringend nach politisch unbelasteten Richtern. Aus nachvollziehbaren Gründen kann sie nicht aus dem Vollen schöpfen. Meine Anstellung dürfte also nur widerrufen werden, wenn ich silberne Löffel klaue oder wenn ein neuer Hitler kommt, um der Welt zu beweisen, dass Geschichte sich wiederholt.«
»Ich möchte zu gern wissen, wo Sie Ihren Humor hernehmen!«
»Ich lass ihn täglich frisch vom Galgen der hiesigen Henker abschneiden. Nur weil die Henker in Nürnberg nicht im Verborgenen werkeln müssen, bin ich Dolmetscher in einem
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