Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
Vom Netzwerk:
Kriegsverbrecherprozess geworden. Sie müssen bedenken, dass Galgenhumor für einen Juden, der das Leben überleben will, wichtiger ist als Muttermilch. Von unserem Humor spricht die Welt mit sehr viel mehr Respekt als von unseren Toten. Selbst die übelsten Antisemiten erzählen mit Wonne jüdische Witze. Sagen wir lieber, Witze über Juden. Das hab ich schon als kleiner Junge mitbekommen und gehasst.«
    »Um Himmels willen, ich wollte Sie nicht kränken.«
    »Haben Sie nicht. Kein bisschen. Mir ist nur gerade alles hochgekommen, was ich seit Jahren mit viel Mühe hinunterschlucke. Auch unsere Empfindlichkeit ist ein Erbe der Nazizeit. Und dieses erbarmungslose Gedächtnis, das zu jeder Zeit über einen herfällt wie ein Adler über seine Beute. Selbst wenn man an einer Rose riecht oder einem ein bunter Kinderball vor die Füße rollt, oder ein junges Mädchen einen wissen lässt, dass man ein Mann ist, knüppeln die Erinnerungen auf uns ein. Kommen Sie, gnädige Frau, hören Sie nicht hin, verschließen Sie Ihr Herz. Begleiten Sie mich lieber zur Post. Im Glück ist der Mensch nicht gern allein. Außerdem verirre ich mich immer noch in den politisch belasteten Trümmern von Nürnberg.«
    »Was tut ein Mann mit Ihren Zukunftsaussichten auf der Post?«
    »Ich will ein Telegramm an meine Tochter aufgeben. Hoffentlich bekommt sie nie heraus, dass sie nicht die Erste war, die von unserem neuen Leben erfahren hat. Bisher weiß Fanny nicht einmal, dass mein Vertrag hier in Nürnberg am fünfzehnten März ausläuft. Ich hab nicht den Mut gehabt, ihr das zu sagen. Ich weiß, dass sie große Angst hat, ich könnte nach Holland zurückgehen. Aber wir haben beide nicht gewagt, vom Teufel zu sprechen.«
    »Na, wenigstens weiß ich jetzt, ab wann mir eine neue Einquartierung ins Haus steht. Wollen Sie nicht lieber mit Fanny telefonieren?«
    »Wollen will ich schon, aber können kann ich nicht. Hans Dietz hat immer noch kein Telefon. Sein vierter Antrag ist vor zwei Wochen abgelehnt worden. Bei der zuständigen Behörde hat auch der Hinweis auf seine greise jüdische Schwiegermutter und ihr jüdisches Enkelkind nichts genutzt, obgleich immer wieder und von allen möglichen Leuten versichert wird, dass politisch und rassisch Verfolgte von allen Ämtern bevorzugt behandelt werden. Hoffentlich ist die Zusage der Justiz, mir eine Wohnung zu besorgen, nicht auch nur ein Lippenbekenntnis und Teil der großen germanischen Gewissensberuhigung. Es wäre schwierig, bei Anna wohnen zu müssen. Die Wohnung ist ja jetzt schon zu klein.«
    Als die Stromsperre einsetzte, tranken sie im Licht einer kaum abgebrannten Kommunionskerze, die Frau von Hochfeld gegen zwei Seidenkrawatten ihres Mannes eingetauscht hatte, einen Rotwein von der Loire. Der Wein, Jahrgang 1938, stammte aus dem immer noch gut gefüllten Keller von Apotheker Straubinger. Sein Neffe, ein Unteroffizier, der ursprünglich Theologie hatte studieren wollen, hatte in Paris einmarschieren dürfen und die gesamte Familie mit Cognac, erstklassigen Weinen, Käse und Stoffen versorgt. Seine Mutter und beide Schwestern hatten Pelzmäntel aus dem jüdischen Viertel bekommen; das Madonnenbild aus einer Dorfkirche hatte er für den siebzigsten Geburtstag seines Großvaters besorgt. Die anrührende Madonna entzückte selbst den Teil der Familie, der schon 1933 aus der Kirche ausgetreten war. »Ein Prachtkerl, der Sepp Straubinger«, erinnerte sich Frau von Hochfeld, wobei sie die Weinflasche streichelte. »Dass so einer fallen musste und so viele, die es nicht verdient haben, durchgekommen sind.«
    »Seit wann fordern Sie bei Gott ein Mitspracherecht?«
    Der Wein hatte die Zeit schlecht überstanden. Er war dickflüssig wie Öl und hatte Kork, doch Fritz, der nie ein Weinkenner gewesen war und von Rotwein schon als junger Mann Sodbrennen bekommen hatte, lobte das »Bouquet« und seufzte zwei Mal hintereinander genießerisch »Ah«. Beim zweiten »Ah« schweiften seine Gedanken zu weit ab. Er dachte an die Beschneidung seines Sohns und dass der Mohel Rotwein auf einen Wattebausch getupft hatte, um das schreiende Kind zu beruhigen. Frau von Hochfeld fiel auf, dass Doktor Feuereisen feuchte Augen hatte, doch nahm sie am Graben den falschen Weg. Sie hob ihr Glas und lächelte ihm jungmädchenscheu zu.
    Zu Mitternacht stand sie im schwarzen Seidenmantel an seinem Bett – wie in der Nacht, als die Geschichte, die nicht hätte sein dürfen und die doch gewesen war, begonnen hatte. Abermals klaffte

Weitere Kostenlose Bücher