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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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langgeht.«
    »Die Schulen sind geschlossen«, erinnerte ihn Fanny. »Wegen der Kälte und weil es keine Kohlen gibt, um sie zu heizen. Zuletzt haben wir in Mantel und Handschuhen dagesessen und uns in Decken gehüllt, um über das Klima in der Sahara zu sprechen. Es tut mir leid, Fräulein Doktor Glaubrecht, ich kann nicht zur Tafel kommen und Ihnen zeigen, wie der Äquator verläuft; meine Füße sind soeben erfroren. Ich kann mich immer noch grün und blau ärgern, dass mir dieser schöne Satz nicht eingefallen ist, sondern Lore Hannewald, die immer alles weiß und also jederzeit zur Tafel gehen kann, ohne sich zu blamieren.«
    Die Eiseskälte würgte ganz Mitteleuropa. Meteorologen registrierten den kältesten Winter seit dem Jahr 1893. Schneestürme legten England lahm und wüteten ebenso heftig in Frankreich, in den österreichischen Alpentälern wurden dreißig Grad minus gemessen. In Deutschland froren die Wasserstraßen zu, sämtliche Kohlelieferungen blieben aus. Neben den Schulen mussten die meisten öffentlichen Einrichtungen geschlossen werden. Behörden hatten, wenn überhaupt, nur noch stundenweise geöffnet. Die Bevölkerung hungerte noch mehr als im ersten Nachkriegswinter, Menschen erfroren auf den Straßen und in ihren eiskalten, dunklen Wohnungen, sie wurden mit Erfrierungen und Hungerödemen in überfüllte Krankenhäuser gebracht, lagen auf den Gängen und waren zu schwach, um die Hand nach dem Leben auszustrecken.
    Für Kriegswaisen, Kriegsversehrte, Heimkehrer und Flüchtlinge wurden Kleidung, Schuhe, Hausrat und Bettzeug gesammelt, die Spenden noch in den Sammelstellen gestohlen und auf dem Schwarzmarkt verhökert. Es gab Ärzte und Zahnärzte, die sich in Naturalien bezahlen ließen, Apotheker, die ihre Medikamente nur gegen Kohle und Zigaretten abgeben wollten, Rossschlachter, die Pferdeäpfel gegen Tischwäsche und Silberbesteck tauschten, und es gab immer noch Leute, die der Vergangenheit nachjammerten und die alle wissen ließen: »Das hat es beim Adolf nicht gegeben.«
    Die Stacheldrahtzäune in den Sperrgebieten, in denen die amerikanischen Truppen mit ihren Familien wohnten, wurden noch höher gezogen als unmittelbar nach dem Krieg. Kohle- und Stromdiebstähle waren an der Tagesordnung. Die Kirchenoberen beschäftigten sich persönlich mit der verzweifelten Lage. Der evangelische Bischof von Berlin-Brandenburg, Otto Dibelius, bat den Alliierten Kontrollrat um Heizmaterial für die leidende deutsche Bevölkerung. Joseph Kardinal Frings hatte in seiner Silvesterpredigt in Bezug auf die schlechte Versorgungslage und die Plünderung der Kohlenzüge gesagt: »Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der Einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder durch Bitten, nicht erlangen kann.« Selten wurde ein Bischofswort mit so viel Inbrunst zitiert. »Fringsen« wurde die allgemeine Umschreibung für die Erlösung aus täglicher Not durch Mundraub und Diebstahl.
    »Ich hab«, sagte Adelheid von Hochfeld und nickte wohlgefällig in Richtung ihres gluckernden Kachelofens, »gestern ein bisschen gefringst. Mit dem Sohn des Apothekers. Die jungen Leute kommen ja ganz anders an die Züge und Lastwagen ran als unsereiner. Jung zu Jung, Alt zu Alt, jeder sich an Seinesgleichen halt, das Lieblingswort meiner Großmutter, hat ausgedient. Und was den Apotheker Straubinger betrifft, da schuldet mir die ganze Familie Dank.«
    »Wer nicht, Frau von Hochfeld?«
    »Hermann Straubinger, ein Jugendfreund von meinem Mann, war nämlich nicht nur Parteimitglied der ersten Stunde. Er tat sich bei jeder Gelegenheit mit seiner Vaterlandsliebe und seiner Führertreue dicke. Noch als Nürnberg brannte, hat er seinen Kunden vorgejammert, wie schrecklich es ihm wäre, dass er sich wegen seines angeborenen Herzfehlers nicht bei der Verteidigung der Heimat totschießen lassen dürfe. Selbstredend sah Oberbonze Straubinger nach dem Krieg seine sämtlichen Felle davonschwimmen. Um ein Haar wäre er seinem Führer in den Tod gefolgt, aber er fand keinen Strick.«
    »Seit wann erzählen Sie moralische Geschichten, Frau von Hochfeld?«
    »Das sind keine moralischen Geschichten, Herr Doktor, das sind Geschichten aus einem Land, das in Konkurs gegangen ist. Hauptsächlich weil mir Frau Straubinger leidtat, die in ihrer Ehe nie den Mund hatte aufmachen dürfen und die Leuten in Not schon mal half, wenn ihr Mann es nicht

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