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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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ob sie körperlichen Schaden genommen hatte. Sophie schrie gellend. Als ihre Stimme versagte, blieb sie wimmernd und frierend auf der Straße liegen. Ihr Lebensretter, sowohl von seinem im Ersten Weltkrieg mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichneten Turnlehrer als auch in der Hitlerjugend zur deutschen Männerhärte erzogen, half ihr zwar beim Aufstehen, verpasste ihr dann aber, aus pädagogischen Gründen, wie er nicht anzumerken vergaß, eine schallende Ohrfeige. »Das wird«, brüllte der vor Zorn bebende Rettungsengel, »dich lehren, nicht noch einmal mit dem Feuer zu spielen, du missratenes kleines Frauenzimmer.«
    Der Mantel hatte lediglich Brandspuren am linken Ärmel und am Kragen. Auch war er nur leicht verschmutzt und somit absolut noch zu gebrauchen. »Da hast du noch mal Schwein gehabt«, befand der Mann der Tat. Er hatte eine Schwester in Sophies Alter, der er sehr zugetan war, und eine Mutter, die er ebenfalls liebte und die sich seit Oktober vergebens beim Versorgungsamt abmühte, einen Bezugsschein für einen Kindermantel zu bekommen. »Ich bin nicht der heilige Martin«, herrschte der Belesene die schluchzende Sophie an. Ihren Mantel behielt er als Dankeslohn ein. Ebenso Lenas rote Mütze, die immer noch auf der Straße lag und für die ihr Großvater zu Weihnachten seine gesamte Zigarettenration hergegeben hatte.
    Die Konfiszierung ihres Eigentums war für Sophie ein gewaltiger Schock; noch mehr Kummer bereitete es ihr, dass ihre Freundin im Augenblick der Gefahr vom Schauplatz des Geschehens geflohen war und sich danach den ganzen Tag nicht mehr sehen ließ. Es war Sophies erste Begegnung mit dem gebrochenen Wort und dem Verhalten von Freunden in der Not. Die Mädchen hatte einander zu Weihnachten lebenslange Treue und gegenseitige Hilfe in jeder Lebenslage geschworen. Lena durfte an den grünen Bonbons partizipieren, die Onkel Fritz immer in seinen Taschen hatte. Geteilt wurden zudem die wunderbaren Donuts und die Erdnussbutter, die Washi jedes Mal mit großer Geste aus dem Jeep zauberte, wenn er Fritz nach seinen nahrhaften Besuchen in der Thüringer Straße für die Rückfahrt nach Nürnberg abholte.
    »Lena hat aufgehört, meine Freundin zu sein«, fällte Sophie am Tag ihrer Rettung das Urteil. »Sie ist eine ganz gemeine Sau, eine böse Hundesau.«
    »Sie ist ein Mensch«, stellte ihr Vater klar. »Mit Menschen muss man viel Geduld haben. So wie ich mit meiner Tochter Sophie. Die bringt unser ganzes Leben durcheinander, aber wir lieben sie trotzdem. Am besten wir lassen sie erst im Juni wieder auf die Straße. Oder entzündet das Fräuleinchen dann ein Johannisfeuer an der Hauptwache? Vielleicht gräbt sie auch aus den Trümmern der Oper einen Blindgänger aus.«
    »Ein Blindgänger«, entschied Sophie, die das Wort zum ersten Mal hörte.
    »Wenigstens sorgt unsere Sophie dafür, dass ich nicht dazu komme, meine Hände in den Schoß zu legen«, sagte Anna. »Die Nähmaschine steht ja nicht mehr still.«
    »Wenn du nicht so geschickt wärst«, bewunderte sie Betsy, »würde uns keine Nähmaschine der Welt was nützen. Du warst schon als junges Mädchen die einzige meiner Töchter, die auf die Idee kam, ihre Hände zum Arbeiten zu benutzen und nicht als Ständer für teuere Ringe. Mir tut es noch nicht einmal leid, dass ich das damals ausgesprochen habe, aber die gute Josepha war ganz entsetzt.«
    »Und ich hatte Angst, die anderen würden eifersüchtig werden. Besonders Vicky. Wir waren doch in einem Alter.«
    »Was Eifersucht betrifft, stand keine von meinen Töchtern der anderen nach. All drei waren sie Naturtalente.«
    Der lange, dunkelblau eingefärbte Uniformmantel von Hans wurde zur dreiviertellangen Männerjacke umgearbeitet. Der abgeschnittene Teil gab einen Kapuzenmantel für Sophie her. Das Kind war so glücklich, dass Anna auch ihren einzigen noch existierenden Vorkriegspullover auftrennte, um Sophie neue Handschuhe mit passendem Schal zu stricken. »Den hellblauen Pulli«, erzählte sie, als sie die Maschen anschlug, »hat noch Hans’ Zimmerwirtin in Offenbach gestrickt. Ich hab ihn nur an besonderen Tagen getragen. An dem Abend, als Hans aus Polen zurückkam, zog ich ihn an. Die schönen Knöpfe stammen noch aus der Posamenterie.«
    »Die Knöpfe kannst du ja behalten«, tröstete die praktische Tochter. »Eine Mütze hat keine Knöpfe. Und ein Schal auch nicht.«
    »Es ist Zeit, dass du in die Schule kommst«, sagte ihr Vater. »Du brauchst einen, der dir sagt, wo’s

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