Heimkehr zu den Dakota
ersten sechs Stunden waren vorüber. Achtzehn Stunden lagen noch vor der Versammlung. Es dachte niemand an eine Pause. Die Zuhörer und die Redner lösten sich ab. Nur der Mann am Pfahl mußte die ganze Zeit durchhalten.
Da der Alte Rabe lange gesprochen und viele Erinnerungen im Gedächtnis der Krieger aufgerührt hatte, nahmen sich auch die anderen Redner Zeit. Keiner sprach unter zwei Stunden. Der Nachmittag rann dahin, die Sonne neigte sich zum Felsengebirge. Stein mit Hörnern stand unbewegt. Die Sehnen und Muskeln seiner Beine waren so hart und geübt, bis in die letzte Faser ausgebildet, wie nur je die eines freien Indianers. Er konnte sich an den Pfahl lehnen. Durst zu ertragen, hatte er gelernt. Der Tag war nicht heiß.
Während er zuhörte, blickte er noch immer über alle hinweg und an allen vorbei. Das Bild Harpstennahs war verblaßt. Alle sprachen von Mattotaupa, lange, ausführlich, und dem Sohn stand vor Augen, wie dieser, sein Vater, ermordet, skalpiert, von den Fischen gefressen wurde. Stein mit Hörnern aber hatte den einen Augenblick versäumt, in dem er Red Jim hätte töten können. Einen Augenblick war er schwach gewesen, weil er wie betäubt war.
Im Zauberzelt ging die Trommel.
Stein mit Hörnern begann, sich selbst zu peinigen auf eine Weise, von der niemand etwas ahnte. Er hätte seinen Vater auf der Stelle rächen können, aber er hatte es nicht getan. Gehörte er nicht wirklich an den Schandpfahl?
Der Abendwind erhob sich schon. Der Himmel im Osten wurde dunkler, während sich die Feuerpracht des Sonnenuntergangs hinter dem Gewölk verbarg, das sich über das Felsengebirge gelagert hatte. Der Gegenstand der Beratung bewegte die Männer immer stärker, je mehr Redner dazu gesprochen hatten. Es war nicht nur Stein mit Hörnern, über den sie berieten. Die weißen Männer waren es, die Zaubergeheimnisse, das Geschick der Bärenbande.
Hawandschitas Trommel war verstummt; der Geheimnismann schien müde geworden zu sein. Aber vielleicht bereitete er sich in der beginnenden Nacht auch nur auf die Stunde des Sonnenaufgangs vor, in der nach seinem Willen der Gefangene sterben sollte.
Als der Abendschein verblaßt war, wurden große Feuer auf dem Platze angezündet. Der Wind wehte von Norden. Antilopensohn und Schonka verstanden es, einige Brände derart anzulegen, daß der Wind, der die Nacht hindurch zu wehen versprach, die züngelnden Flammen und den Rauch direkt an den Pfahl trieb. Stein mit Hörnern empfand die Hitze, mußte Rauch atmen und unterdrückte den Hustenreiz. Der Kopf begann ihm nach den ersten Nachtstunden zu schmerzen, und es kostete ihn mehr Anstrengung, den Reden zu folgen. Seine Haut an Schulter und Arm wurde versengt.
Als der letzte der sechs angesehenen Krieger, die sich gemeldet hatten, seine Rede beendete, war Mitternacht nahe. Antilopensohn trat vor und erhob seine Anklage. Mattotaupa hatte Alte Antilope mit dem Pfeil getötet. Die Blutrache übertrug sich vom Vater auf den Sohn, und Antilopensohn verlangte den Tod des Gefangenen und dessen Skalp. Die Stimmung verdüsterte sich. Mehrere Männer wiesen darauf hin, daß Mattotaupa und sein Sohn auch Krieger anderer Stammesgruppen der Dakota getötet hätten und daß die Bärenbande dem Oberhäuptling Tashunka-witko den Tod des Mannes melden müsse, der Tashunka-witko bei dem Kampf um das Lager bei der Bahnstation hinterlistig in eine Falle gelockt hatte.
Als Mitternacht vorüber war, schien die Zeit schneller zu laufen. Mit Sonnenaufgang mußte die Entscheidung gefällt werden.
Die Feuer loderten. Stein mit Hörnern stand aufrecht, aber da die brennende Hitze auf ihn einwirkte und er das Einatmen des Rauches nicht vermeiden konnte, wurde ihm der Atem schwer und der Herzschlag durch die giftigen Gase müde. Er wußte, wer darauf lauerte, daß ihm die Kräfte versagten.
Tschotanka hatte zu reden begonnen. Seine Rede war wiederum so angelegt, daß sie lange dauern mußte. Er berichtete, was bis dahin noch niemand berichtet hatte. Er erzählte von dem Verlauf des großen Festes der Dakota, Assiniboine und Siksikau. Er erzählte nicht nur mit Worten, sondern auch mit Gesten. Er spielte die Ereignisse. Die stummen Zuhörer wurden lebendig. Sie traten näher. Ihre Augen glänzten im Feuerschein, und unwillkürlich begannen manche mitzuspielen, so als wären sie selbst Zuschauer des großen Festes, das Tschotanka schilderte. Sie erlebten die Wettkämpfe der jungen Krieger mit, aus denen Stein mit Hörnern als Sieger unter
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