Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
ausführte. Als eine geraume Zeit vergangen war, löschte er die Pfeife und machte zurecht, was er am nächsten Tage für das Sonnenopfer gebrauchen wollte: zwei lange und zwei kurze Lederriemen und das alte steinerne Opfermesser. Er legte diese Dinge auf einer Lederdecke mit Zauberzeichen zurecht, so daß die beiden jungen Krieger sie sehen konnten. Dann begann er langsam zu sprechen:
    »Ich frage dich, Donner vom Berge, und dich, Stein mit Hörnern: Wer ist der bessere von euch? Antwortet nicht vorschnell, und sprecht die Wahrheit!«
    Die beiden jungen Krieger überlegten trotz der Mahnung nicht lange. Donner vom Berge, der als erster angeredet war, antwortete auch zuerst. »Der bessere von uns ist mein Blutsbruder Stein mit Hörnern. Er hat mehr Kämpfe bestanden, er hat mehr Feinde getötet, er hat den grauen Bären erlegt. Er weiß mehr als ich. Seine Gedanken sind schneller, seine Füße flinker, seine Hände geschickter.«
    Der Zaubermann sah auf den, der auf diese Weise vorangestellt wurde. »Dem ist nicht so«, widersprach Stein mit Hörnern. »Der bessere von uns ist mein Blutsbruder Donner vom Berge. Seine Gedanken sind klar und einfach. Er ist immer aufrichtig. Er hat von seinen Kräften erst wenig verbraucht. Sie schlummern noch in ihm und werden eines Tages mächtig erwachen.«
    »Ihr habt beide gut gesprochen«, entschied der Zaubermann. »An dich, Donner vom Berge, habe ich keine weitere Frage. Ich kenne dich, seit deine Mutter dich in der Trage mit sich trug. Ich habe dich als Knaben gesehen, als Burschen und jetzt als Mann. Du bist ein echter Krieger der Siksikau, und du wirst den Sonnentanz bestehen.«
    Der Zaubermann machte eine Pause und wandte sich danach an Stein mit Hörnern. »Dich habe ich noch zu fragen!«
    »Ich höre.«
    »Was hast du mit deiner Schwester Uinonah besprochen?«
    »Nichts.« Das Wort kam dem jungen Krieger gegenüber dem Zaubermann nicht so leicht über die Lippen wie gegenüber Tschotanka. Dennoch sagte er es, gleich kurz, gleich abschließend. Es wäre ihm unwürdig erschienen, auf einmal eine andere Antwort zu geben. Es wäre ihm unwürdig erschienen, zu sprechen, wo seine Schwester geschwiegen hatte, und er haßte es, ausgefragt zu werden und sich bloßzustellen.
    Der Geheimnismann bewegte die Lippen ein wenig. Dann fragte er weiter. »Bist du ein Dakota?«
    Stein mit Hörnern erinnerte sich, wie er diese Entscheidung hatte treffen sollen, als er nach drei Tagen hungernd, durstend und von nicht zu Ende geführten Gedanken gequält in das Zauberzelt zurückgekommen war. Damals hatte er geschwiegen. Er schwieg auch jetzt.
    »Bist du ein Siksikau?«
    Der junge Krieger hielt die Lippen geschlossen.
    »Wer bist du?«
    Stein mit Hörnern hatte eben diese Frage zweimal in seinem Leben beantwortet. Ein drittesmal beantwortete er sie nicht. Er blieb stumm, aus Scham, auch aus Trotz, Stolz und Abwehr.
    »Du bist nicht das, was du an deinem Blutsbruder Donner vom Berge gerühmt hast, nicht klar, nicht einfach, nicht aufrichtig«, urteilte der Zaubermann. »Du verbirgst deine Gedanken vor der Sonne und vor uns. Die Geister wollen dir nicht vertrauen. Es ist besser, wenn du nicht durch den Sonnentanz gehst. Die Lüge ist gleich dem Tode; so sagen zu Recht unsere alten und weisen Krieger vom Bunde der Männer, die die Wahrheit sprechen. Hörst du?«
    »Ich höre.«
    Stein mit Hörnern schaute ins Feuer und auf das Opfermesser. Der Zauberer hatte ihm Lüge vorgeworfen. Das galt bei den Siksikau als ein schmähliches und todeswürdiges Verbrechen. Donner vom Berge zitterte plötzlich, kurz, heftig, weil er ahnte, was vorging.
    »Du hast eine ganze Nacht Zeit, Stein mit Hörnern«, nahm der Geheimnismann wieder das Wort. »Denke über das nach, was du noch nie zu Ende zu denken gewagt hast, und kehre dich zur Wahrheit. Wenn dieses Fest endet, wird das Kriegsbeil zwischen den Männern der Siksikau und den Männern der Dakota wieder ausgegraben. Die Geister haben es mir gesagt. Es ist ein großes Fest mit einem bösen Ende. Auf welcher Seite wirst du mit ganzem Herzen kämpfen? Mich betrügst du nicht.«
    Der junge Krieger rang mit sich. Mißtrauen war wie ein Messer, das ihn sofort traf, wenn es nur gezogen wurde. Er hätte auf die letzten Worte des Geheimnismannes, die ihn beleidigten, am liebsten hochfahrend geantwortet, aber er bezwang sich und faßte den Entschluß, die ganze Wahrheit zu sagen. Bei dem Spiel der wahren Begebenheiten, das für ihn nicht nur ein Spiel, sondern eine neu

Weitere Kostenlose Bücher