Heimkehr zu den Dakota
aufgerollte alte Frage gewesen war, hatte er wieder zu den Gedanken gefunden, die ihm als Knaben zum erstenmal, schüchtern noch und nebelhaft, gekommen waren und die sich ihm in vielen Jahren der Verbannung und eines als schmählich empfundenen Kundschafterdienstes für die weißen Männer verdichtet hatten. Er hatte am vergangenen Tage schon versucht, solche Gedanken in den heranwachsenden Knaben zu wecken, und er hatte sie seinem Blutsbruder angedeutet. Da er von dem Geheimnismann auf entscheidende Weise herausgefordert wurde, sprach er seine Gedanken zum erstenmal gegenüber einem Würdenträger eines Stammes aus: »Nie mehr werde ich mit ganzem Herzen gegen die Krieger der Prärie kämpfen, von welchem Stamme sie auch seien. So wie Pontiak und Tekumseh alle Söhne der Prärie und der Wälder liebten und sie gegen die Watschitschun im Kampfe führten, So denke auch ich, und so schlägt auch mein Herz.«
»Du weichst mir aus«, sagte der Zaubermann. Seine Stimme verlor den Klang und wurde kalt. »Das Kriegsbeil wird ausgegraben werden. Dem kannst du nicht mit Reden und mit Erinnerungen abhelfen. Wo stehst du ganz und ohne Zweifel, ohne Lüge und ohne Verrat, wenn Siksikau und Dakota einander töten?«
Stein mit Hörnern schwieg.
»So laß ab vom Sonnenopfer, denn die Sonne ist klar und will nur Wahrheit.«
Stein mit Hörnern sah noch immer in das Feuer und auf das Messer. »Schließt du mich aus?« fragte er schließlich.
»Bestehe nicht darauf, vor die große Sonne zu treten. In ihren Strahlen gefangen, sterben die Lügner.«
Stein mit Hörnern faßte nach dem Wampumgürtel aus der Hütte Osceolas. »Ich bringe das Opfer.«
Der Geheimnismann atmete einmal hörbar, und seine Augen nahmen einen eigentümlichen undurchdringlichen Ausdruck an, der fremd wirkte, weil nichts Menschliches mehr darin zu spüren war.
»So sei es«, sprach er langsam, als ob er wider Willen gezwungen werde, ein unwiderrufliches Urteil zu sprechen. »Auch ich vermag die Botschaft deines Gürtels zu lesen. Dort stehen dieselben Gedanken, die du ausgesprochen hast, aber sie sind nicht gut für uns. Sie würden unsere Krieger nur verwirren und ihre Arme im Kampfe schwächen.«
Weiter sagte der Zauberer nichts mehr. Es verging noch einige Zeit in Schweigen. Endlich gab der Geheimnismann den beiden jungen Kriegern das Zeichen, sich zum Schlafe niederzulegen. Sie streckten sich auf den bereitliegenden Decken aus.
Der Zauberer rief seinen Gehilfen in das Zelt zurück und hieß ihn die Flammen schüren. In der Nacht vor dem Opferfeste sollten alle Feuer hell flammen.
Donner vom Berge schloß sogleich die Augen und atmete regelmäßig, als ob er schliefe. Es gelang ihm, sogar den Zaubermann zu täuschen. In Wahrheit schlief er nicht; er horchte auf das Knacken des Holzes im Feuer und auf das Zauberlied, das der Geheimnismann anstimmte. Dem jungen Siksikau war feierlich zumute, aber zugleich war er unruhig wie in jener Nacht, als sein Blutsbruder mit Namen Harka, noch ein Knabe, fortgeritten war, um erst viele Jahre später wieder zurückzukehren. Er erkannte, wie sich wiederum ein Spalt aufgetan hatte und wie der Spalt größer und unüberwindlicher wurde. Die Gedanken des jungen Siksikau waren immer klar und einfach gewesen, weil alles um ihn klar und einfach schien. Aber jetzt brachen die Fragen, die ihn in jener Nacht vor sechs Jahren nur gestreift hatten, wie Wunden in ihm auf. Wo war Recht, und wo war Unrecht? Konnte ein Mann in den Zelten der Siksikau leben, der auch den Dakota ein Bruder sein wollte? War das Kühnheit, oder war es Verrat? Der beste Krieger durfte am wenigsten zweifeln. Sein Schwanken bedeutete Gefahr für alle. Was würde über Stein mit Hörnern am kommenden Tage verhängt werden? Der Fremdling trotzte dem Zaubermann; sein Leben schien verfallen.
In dieser Nacht schlief Stein mit Hörnern ruhiger als Donner vom Berge. Er hatte eine Entscheidung getroffen. Sie ging auf Tod und Leben. Aber ausgewichen war er ihr nicht.
Als die Dämmerung sich vier Stunden nach Mitternacht über das Land verbreitete, waren die Blutsbrüder schon bereit und verließen mit dem Zauberer zusammen das Tipi. Sie waren nackt, ohne jeglichen Schmuck, bis auf Gürtel und Gürteltuch. Stein mit Hörnern hatte den Wampumgürtel um die Lenden gelegt.
In den Zelten brannten die Feuer noch immer hoch, so daß im Morgengrauen allenthalben der Schein herausleuchtete. Die Zauberlieder und die dumpfen Trommeln erklangen. Männer, Frauen und Kinder
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