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Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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strömten lärmend und jubelnd zu dem großen Rundplatz inmitten des Lagers. Der Sonnentanz war für sie eine ihrer größten Feiern. Die Jünglinge, die abends die Zweige gebracht hatten, bekleideten damit jetzt rings die Stangengerüste, die den Opferplatz abgrenzten. Der Herold ging umher und gab den von den Zaubermännern der drei Stämme bestimmten Ablauf der Kulthandlung mit lautem Ruf bekannt. Die beiden Opfernden sollten von früh an »in die Sonne sehen« und die Opferprobe mit dem Sonnentanze des Abends abschließen. Das war mehr, als für die einfache Kriegerprobe bei den Siksikau verlangt zu werden pflegte, und junger, bereits ausgezeichneter Krieger würdig. Stein mit Hörnern wußte von der Probe des »in die Sonne Sehens« längst aus den Mythen und Berichten, die er als Knabe im heimischen Zelte von Untschida gehört hatte. Nur selten nahm ein Mann diese schwerste Prüfung auf sich, noch seltener wurde sie bestanden. Der Vater Mattotaupas, Untschidas Gatte, hatte als junger Mann das Opfer gebracht und zum guten Ende geführt.
    Aus einem abgelegten Tipi der Assiniboine kam auf den Heroldsruf hin eine alte Frau hervor, weißhaarig, schön gekleidet. Stein mit Hörnern und Donner vom Berge schauten auf sie. Der Zaubermann ließ sich hinter dem Tannenzaune, der den Opferplatz abgrenzte, nieder, und die Zauberfrau, die an den vergangenen Tagen gefastet hatte, setzte sich zu ihm. Die beiden jungen Krieger traten vor und neigten sich herab, um sich von der Geheimnisfrau Gesicht und Handgelenke mit schwarzer Farbe bemalen zu lassen. Mit schwarzer Farbe bemalte der Zaubermann unterdessen den Fichtenpfahl.
    Der Pfahl wurde inmitten des Kultplatzes aufgerichtet und eingerammt. Er trug an der Spitze ein Bündel Adlerfedern. Stein mit Hörnern nahm das Auffichten des Pfahls durch die Geräusche wahr, ohne danach hinzusehen. Er schaute länger als sein Blutsbruder auf die Zauberfrau, diese alte Frau der Assiniboine, die die gleiche Haartracht und eine ähnliche Kleidung trug wie die Dakotafrauen und in deren ruhigem und eindringlichem Blick etwas von der gleichen Würde und dem gleichen Wissen lag, die Stein mit Hörnern als Knabe an der Mutter seines Vaters, an Untschida, bewundert und geliebt hatte.
    Krieger und Häuptlinge bildeten einen Kreis um die Opferstätte. Ihre Mienen waren froh, sie erinnerten sich ihrer eigenen Jugend und der bestandenen Mannbarkeitsproben. Brennendes Wasser und Mattotaupa lächelten. Als Väter der ausgezeichneten Söhne hatten sie nach aller Urteil und ihrem eigenen Empfinden am meisten Grund zur Festesfreude. Niemand zweifelte daran, daß Stein mit Hörnern und Donner vom Berge, deren Wille stark und deren Sehnen hart waren, den Sonnentanz ruhmvoll bestehen würden.
    Weiter entfernt als die Männer hielten sich die Frauen und Kinder. Unter den Mädchen fand sich heute auch Uinonah ein. Sie trug das Kleid aus weißem Büffelfell. Ihre Züge blieben ernst, und sie sah nichts als ihren Bruder. Sie wußte aber auch, daß er sich jetzt nach niemandem mehr umblicken durfte.
    Der Geheimnismann sang vor dem Beginn des Opfers mit seiner tiefen Stimme das Danksagungsgebet der Siksikau, und die Krieger stimmten ein:
     
    »Großer Geist, unser Vater, hilf uns,
    und zeige uns den Pfad der Wahrheit!
    Halte mich und die Meinen
    und unseren ganzen Stamm
    im Pfade unseres wahren Vaters,
    auf daß wir stark und gesund bleiben
    im Geiste und im Körper.
    Lehre die Kinder deinen Pfad gehen!
    Schaffe auf der ganzen Welt Frieden!
    Wir danken dir für die Sonne
    und für den guten Sommer,
    die du uns wieder gegeben hast.
    Und wir hoffen, Sonne und Sommer
    geben allen Tieren gutes Gras
    und Nahrung für alle Menschen.«
     
    Der Gebetsgesang war beendet. Auf dem Opferplatz innerhalb der Tannenumzäunung flammte ein kleines Feuer auf. Die Geräte des Geheimnismannes, Messer und Lederriemen, lagen dort bereit.
    Donner vom Berge kniete als erster vor dem Geheimnismanne nieder. Der Zauberer machte mit dem Opfermesser auf der Brust des jungen Kriegers, erst rechts, dann links, zwei Einschnitte, löste die Haut zwischen den Schnitten rechts und links und zog je ein Ende des kurzen Riemens durch. Die Enden knotete er fest, ohne daß der Opfernde zuckte. An das herabhängende Mittelteil des kurzen Riemens band der Geheimnismann ein Ende eines mehrere Meter langen Riemens und befestigte diesen mit dem anderen Ende an dem bemalten Pfahl.
    Darauf wandte sich der Zauberer Stein mit Hörnern zu, und als dieser

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