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Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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öffnete die Augen und schaute sich um. Er konnte sich Zeit lassen. Erst als die Sterne verblaßten und Felsen und Bäume aus dem Nachtdunkel in Nebelgrau getaucht wurden, setzte er sich auf und griff nach einem Rest seines Fleischvorrates, um kalt zu frühstücken. Die Sonne brach hervor; ihre Strahlen fluteten zwischen Stämmen, Laub, benadelten Zweigen und Gestein auf die Lichtung. Der Erwachte fühlte die Sonnenwärme im Nacken. Während er langsam aß, lauschte er auf das Singen der Vögel, das Rascheln im Gesträuch, das Rauschen des kleinen Baches und sah hoch in den Lüften einen großen Raubvogel schweben. Dieser zog den Blick Harkas auf sich, und er vergaß alles andere darüber, als er erkannte, daß es ein Adler war, der seine Kreise hoch in den Lüften und allmählich näher zu der Lichtung zog. Die Flügel hatten eine mächtige Spannweite; es war ein ausgewachsenes großes Tier. Der Indianer beobachtete den Adler lange Zeit, bis er endlich damit rechnen konnte, daß der stolze Raubvogel sich auf Schußweite nähern würde. Harka nahm die Büchse aus dem Lederbezug. Eben in diesem Augenblick ließ ihn jedoch ein Geräusch vom Bergwald her aufhorchen. Steine kollerten. Sie kollerten in Menge und in Abständen, als ob sie von einem sich bewegenden Lebewesen losgerissen worden seien. Ehe Harka wußte, was vorging, wollte er sich nicht durch das Krachen eines Schusses verraten, und so nahm er die Büchse zwar aus dem Überzug, schoß aber noch nicht. Der Adler schwebte zu hoch, als daß er ihn mit einem Pfeil hätte herunterholen können.
    Der Indianer glitt zwischen die Sträucher und huschte in Richtung der Geräusche näher zum Rande des Hochwaldes, der die Lichtung umgrenzte. Er lauschte und spähte. Was er weiterhin vernahm, waren ein Krachen und Knacken zwischen den Bäumen oben am Berghang. Diese Geräusche setzten sich fort und kamen der Lichtung rasch näher. Harka dachte sofort an den Bären, dessen Spuren er am Vortage entdeckt hatte. Wenn es dieses Tier war, so lief es schnell und rücksichtslos. Entweder jagte es, oder es wurde gejagt. Ein Grizzly griff ohne weiteres großes Wild, selbst Büffel, an und fürchtete sich nicht vor Menschen.
    Aus dem Wald erscholl ein schriller Hilfeschrei. Das war eine Kinderstimme, die Stimme eines kleinen Mädchens, das durch den Wald floh. Aus den Geräuschen, die das verfolgende Tier verursachte, und aus dem verzweifelten Schreien konnte Harka erkennen, daß das Tier schneller war als das Kind.
    Er sprang in drei, vier großen Sätzen von Stamm zu Stamm über die verbliebene Strecke bis zum Waldrand, dann in den Wald hinein hangaufwärts. Das Kind hatte die Richtung geändert, wahrscheinlich wollte es instinktiv das Tier irreführen. Aber das Mädchen befand sich in einem Hochwald mit wenig Unterholz, und das Raubtier schien seine flüchtende Beute gleich wieder erspäht zu haben. Es ertönten indianische Jagdrufe. Die Männer, die sie ausstießen, waren jedoch viel zu entfernt, um rechtzeitig eingreifen zu können.
    Harka erblickte schräg rechts zwischen den Bäumen den Bären, der das Kind verfolgte. Es war ein Graubär, wie er vermutet hatte, dieses gefährliche Raubtier in Prärie und Felsengebirge. Auch das Mädchen sah der Indianer jetzt. Der Bär war den letzten Bogen, den das Kind im Walde geschlagen hatte, nicht mehr mitgelaufen, sondern hatte ihn abgeschnitten. Mit wenigen Sätzen mußte er das Mädchen erreicht haben. Er fletschte die Zähne, und auch im Laufen wirkten seine Pranken mit den fingerlangen Krallen schreckenerregend. Zu fauchen hatte er keine Zeit und keinen Atem. Wo ihn nicht Stamm noch Gesträuch hinderten, lief er so schnell wie ein Mustang. Sein Kopf war verhältnismäßig klein, die Schnauze spitz. Der Körper war riesig.
    Harka riß die Büchse an die Wange und schoß. Er konnte in diesem Augenblick weder Schädel noch Herz des Bären treffen, da das Raubtier zum Teil von Stämmen gedeckt war, aber er traf die Schnauze, und mit zerschmettertem Gebiß hatte das Tier jetzt nur noch die Pranken als Waffe. Die Pranken eines Graubären aber besaßen eine furchtbare Kraft. Erschreckt, vom Schmerz aufgescheucht, ließ der Bär von der bisherigen Verfolgungsjagd ab und richtete sich hoch auf. Er faßte mit den Vorderpranken nach dem zerschmetterten Oberkiefer. Diesen Moment nutzte der Jäger. Er sparte die in den Wäldern schwer zu ersetzende Munition und ließ die Büchse, die er erst wieder hätte laden müssen, zu Boden fallen. Mit

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