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Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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regnete, suchte er Unterschlupf unter Felsen oder Bäumen. Hatte er Raubtierfährten gefunden, so schlief er wohl auch im Stehen, an einen Baum gelehnt, oder er band sich mit seinem Lasso oben im Geäst fest.
    Als er mit dreizehn Jahren seinen großen Ritt vom nördlichen Missouri bis zur Südseite der Black Hills gemacht hatte, hatte er mit bewußter Aufmerksamkeit die fremde Umgebung täglich durchspäht und sein Vorgehen überlegt. Das tat er auch jetzt, aber viel schneller, da es ihm in jahrelangem Kundschafterdienst schon völlig zur Gewohnheit geworden war.
    Ein Zusammentreffen mit Schoschonen oder mit Absaroka vermied er, aber nicht deshalb, weil er Feindseligkeiten fürchtete; er wollte nur nicht aufgehalten werden.
    Eines Tages hatte Harka jedoch überraschend eine Begegnung. Das war zu einer Zeit, als etwa die Hälfte seines langen Weges zurückgelegt war und er in den Bergen zum Quellgebiet des Gelbsteinflusses und seiner Nebenflüsse gelangte. Es hatte am Tage stark geregnet. Felsen, Gräser, die benadelten Zweige der hohen Bäume glitzerten von Nässe und spiegelten die erste zarte Abendröte. Ein Bach, aus dem Berge entspringend, rauschte über Erde und Steine hinab und besprühte grünende Moospolster. Viele Wildfährten zeigten, daß dieses Gewässer als Tränke beliebt war. Der junge Indianer hatte einige Stunden vorher eine frische Grizzlyspur entdeckt und wollte sich und sein Pferd in acht nehmen. Er ließ den Mustang saufen, trank selbst und wusch sich, weil er jetzt Ruhe und Zeit hatte, aber nicht wissen konnte, wie es am nächsten Morgen damit bestellt sein würde. Dann suchte er sich einen geeigneten Platz für die Nacht. Die Schatten der Bäume wurden schon lang, und der Himmel glühte im Abendrot. Harka fand schließlich am Hang einen alten Lawinenbruch. Die umgebrochenen Stämme waren schon vermodert, von den Wurzeln des Mooses und der Beerensträucher und einiger jung heranwachsender Bäume halb verzehrt. Hier wollte der junge Indianer die Nacht verbringen. Der Scheckenmustang begann an Zweigen zu knabbern. Harka knackte sich Haselnüsse, die noch vom vergangenen Herbst stammten. Es fiel ihm dabei ein, daß er als Knabe mit seinem Blutsbruder Stark wie ein Hirsch, dem Siksikau, auf einer Jagd, die aus einer geplanten Antilopen- zu einer Luchsjagd geworden war, auch eines Abends alte Haselnüsse geknackt und gegessen hatte. Fleisch hatte Harka an diesem Tage schon zum Frühstück verzehrt; das genügte.
    Er genoß, wie jeden Abend seit seinem Aufbruch, die Ruhe und Einsamkeit. Der Lärm bei der Bahnstation war ihm verhaßt gewesen, ebenso wie die Gerüche dort. Ganz allein in der Wildnis fühlte er sich wohler. Er hatte niemandem zu gehorchen, niemand verlangte Rechenschaft von ihm. Er hatte keinen Freund, aber auch keinen Feind. Für einen wundgestoßenen Menschen hatte das Alleinsein etwas Verführerisches an sich. Sein Körper und sein Denken entspannten sich. Zum Grübeln blieb keine Zeit, da die Wildnis täglich die ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.
    Als Schlafplatz wählte Harka sich an diesem Abend einen alten gestürzten Baumriesen, dessen Stamm in der Mitte der Lichtung, noch ein wenig schräg ansteigend, gelagert war. Ein Astansatz gab eine gute Fußstütze. Wenn es notwendig wurde, konnte der Indianer von hier sehr leicht aufspringen, kämpfen oder auch flüchten. Das Regenwasser war abgesickert. Er schlug die Büffelhautdecke leicht um sich und behielt die Büchse im Arm. Der Stamm hatte einen Durchmesser von etwa fünf Metern. Es bestand keine Gefahr, daß Harka im Schlaf herunterfallen würde. Neben dem Stamm nächtigte der Mustang.
    Der junge Indianer war gewohnt, bei dem geringsten störenden Vorgang aufzuwachen. Das Piepsen zweier Fledermäuse und ein Eulenschrei blieben ihm gleichgültig; sie gehörten zu den üblichen Nachtgeräuschen in der Natur. Das Rascheln von Eidechsen und Vögeln im Gesträuch, das Gekrabbel der Käfer hatte in der Dunkelheit aufgehört. Über den Berggipfeln und der Lichtung ging der Mond auf. Der Indianer sah aber keinen Grund, sich vor dem fahlen Lichtschein zu verstecken. Menschen, die diese Gegenden bewohnten, konnten ihn ruhig finden. Raubtiere nahmen ihn in der Nacht durch die Nase, nicht aber durch das Auge wahr.
    Nach dem Regen duftete es köstlich im Walde. Harka schlief ein und schlief gut.
    Als er wieder aufwachte, hatte die Dämmerung noch nicht begonnen, doch der Stand der Sterne zeigte an, daß es dem Morgen zuging. Der Indianer

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