Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)
Übliche eben.«
Wir mussten lachen, und hüpfend zogst du mich hinter dir her den Weg zurück nach Bachtschissaraj, und zwischendurch lachten wir immer wieder darüber, dass wir zu dünn sind, doch als wir den peinlich überpflegten Soldatenfriedhof, über den wir auch lachen mussten, passiert hatten, wurdest du plötzlich ernst. Nicht nur das Lachen, auch die Reste deines aufgespannt lieblichen Konversationslächelns, das du nach dem Gespräch mit der Alten nicht so schnell hattest loswerden können, fielen dir aus dem Gesicht, als du zu mir sagtest:
»Ich möchte, dass du nach Kertsch gehst.«
»Ich geh aber nicht, ich will nicht gehen.«
»Ich bitte dich darum. Ich will nicht, dass du meinetwegen in dieser Einöde verkommst.«
»Also ich verkomme lieber in dieser Einöde als in …«
»Ich meine es ernst, Franz.«
»Ich auch, und ich bin nicht deinetwegen hier, genauso wenig wie du meinetwegen hier bist. Wir sind unseretwegen hier, und deshalb werden wir …«
»Aber du willst doch nach Kertsch und …«
»Sag mir nicht, was ich will, hörst du, sag mir bitte nicht, was ich will!«
Es gelang mir, nicht zu schreien, sondern eindringlich zu bitten, und du hast mich verstanden, und ab da war alles gut. Für eine ganze Weile war alles gut. Auch wenn Referent mir schon damals fast jede Nacht sagte, was ich wollte und was ich nicht wollte, so musste ich doch nicht auf ihn hören, konnte ihm noch große Worte entgegenschleudern, denn dies war des Ganzen Sinn: Nichtwollen sollte ich, was ich wollte, und wollen, was du wolltest , und wenn sich die Lage in Bachtschissaraj im Laufe unseres Jahres dort nicht verändert hätte, vielleicht hätte ich es geschafft … ach was, mach dir nichts vor – dünne Worte, mein Lieber, dünne Suppe, dünne Worte!
46.
Es gab keine offizielle Ankunft der Goldfasane, sie wurden im Laufe des Jahres einfach immer mehr. Im Spätsommer, kaum vier Wochen nach uns, waren ein paar von ihnen in den Khanspalast gekommen, aber wir haben sie nicht weiter beachtet. Sie kamen als Patienten und Ärzte in einem, Ärzte, die sich hier von ihren Heldentaten in der Grenzpflege erholen und zugleich die nötige Ruhe finden sollten, um ihre in der Praxis gesammelten Erfahrungen aufzuarbeiten und ihre in einem über Monate, manchmal über Jahre sich erstreckenden Achtzehn-Stunden-Klinikalltag vernachlässigte Forschungsarbeit wieder aufzunehmen. In ihren goldbraunen, schimmernden Trainingsanzügen schlenderten sie über die Palasthöfe, das weiße Handtuch im kräftigen Nacken, einen Pfirsich in der Hand oder ein paar gelbe Krimkirschen, die sie sich lässig in den Mund schoben, während sie hier und da stehenblieben, um eine besonders hübsche Reihe der kleinteiligen Fenster und ihrer bunten Umrandungsmalereien im vorspringenden Obergeschoss des Palasts oder die großzügig weit überhängenden Flachdächer zu bewundern, die mit ihren abgerundeten Ecken und dem geschnitzten Spitzenrand elegant auf den Gebäuden lagen wie bestickte Kissen, auf die die Minarettchen wie Geburtstagskerzen aufgesteckt waren.
Ebenso lässig, wie sie sich die Kirschen in den Mund schoben und genießerisch tief einatmend dem Sonnenvater ihre tadellos gebräunten Nasen entgegenstreckten, saßen die Goldfasane abends im Speisesaal am Tisch des Sanatoriumsleiters, Dr. van Gischten. Im Gegensatz zu ihrem hilflos geschwätzigen Gastgeber gaben sie sich souverän wortkarg, aber ausgesucht höflich, und sie waren diskret achtsam und liebenswürdig selbst den einheimischen Kellnerinnen und Reinigungskräften gegenüber. Wenn sie morgens und abends am gemeinsamen Vinyasa Flow im Hof teilnahmen, rollten sie ihre Matten bescheiden am Rand aus, nur ihre stets etwas zu weit vorgewölbte Brust, ihr Unwille oder ihre Unfähigkeit, das Brustbein, die Rippen ganz nach innen schmelzen zu lassen, wie es sich für eine anständige Ausführung der meisten Asanas nun mal gehört, verunzierte ein wenig ihr makelloses Erscheinungsbild.
Ich nahm schon deshalb lange keine Notiz von ihnen, weil ich meine hübsche Zelle mit der bunten, geschnitzten Holzdecke, wo ich, solange Esther an ihren Tagespatienten arbeitete, auf dem Kopf stand und versuchte, mein Prana ruhig strömen zu lassen, ohnehin nur verließ, um kurz über den Hof zum Schwimmbecken oder aufs Laufband im ehemaligen Haremsgebäude zu gehen. Aber spätestens im Winter waren sie selbst für mich nicht mehr zu übersehen, aus sämtlichen Grenzkliniken, aus Kertsch, Sewastopol, vom Kap
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