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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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wenn ich an sie gefesselt war. All das wollte ich ihr sagen, konnte es aber nicht, gerade weil sie wider Erwarten nicht nur nicht entsetzt darüber war, dass ich mich ausgerechnet mit einem Goldfasan anfreundete, sondern noch nicht einmal das leiseste Anzeichen von Eifersucht zeigte.
    Zwei Wochen bevor Christian abreiste, trafen wir zufällig einmal in den Khansgärten alle drei aufeinander, und er verabschiedete sich unter irgendeinem Vorwand recht schnell. Esther sah ihm mit freundlichem Spott hinterher und sagte dann sanft zu mir:
    »Es ist kein Verrat. Es ist gut, wenn du mit jemand anderem zusammen bist, und vielleicht ist es sogar gut, dass es einer von ihnen ist.«
    »Was meinst du damit?«
    Aber du hast nicht geantwortet, nur gequält lächelnd den Kopf geschüttelt, und ich begriff, dass auch du geradezu erleichtert warst, dass ich jemand anderen sah, und mit einem Anflug von Übelkeit wurde mir klar, dass du heimlich aufgegeben hattest, dass du nach Kertsch wolltest. Wenn man einfach nicht mehr weiß, welches Mittel man noch geben soll, ist man irgendwann froh, wenn man schneiden kann.
    Ende Juni hatte es der Sommer auch zu uns nach innen geschafft, und so unmerklich schleichend die Goldfasane gekommen waren, so plötzlich verschwanden sie nun, als seien sie gesammelt zurück an ihre Küsten beordert worden. Wir sahen mit offenem Mund zu, wie sie in ihre Taxikolonnen stiegen, aber es entstand keine Lücke, wir konnten kaum Atem holen, so schnell strömten schnatternd lauter neue Weiße in die frei werdenden Zimmer, und schon im Juli kurvten die ungelenkigen Busse mit den Tagespatienten wieder durch die Altstadt, als wären sie nie weg gewesen. Der Kreis war geschlossen, und es war Zeit für uns zu gehen. Alles, was uns hier noch blieb, war ein zweiter August, der geschenkte August, dessen Nächte wir oben im Freien in Tschufut-Kale verbrachten.

47.
    Aller Anfang ist leicht und der Anfang vom Ende ist wohl die Großmutter aller erleichternden Übungen, denn wenn man schon nicht mehr glaubt, sich überhaupt noch bewegen zu können, gibt es nun mal nichts Heilsameres, als endlich einen Schritt, tu doch was, Herrgott! , in die richtig falsche Richtung zu tun.
    Tatsächlich ging es uns, sobald wir in Kertsch eintrafen, auf der Stelle besser. Ich durfte wieder arbeiten, war damit die meiste Zeit des Tages von mir erlöst, und noch dazu bekamen wir schon nach einer Woche eine Wohnung gestellt. Und diese Wohnung war immerhin unsere erste richtige Wohnung nach den Studentenzimmerchen in Jalta und unserer Klausurzelle in Bachtschissaraj. Sie war zwar scheußlich möbliert, aber wir lachten darüber, weil wir froh waren, keine eigenen Möbel, ja überhaupt keine eigenen Dinge haben zu müssen. Derart vom Zwang entlastet, in den eigenen Innenräumen persönlich zu werden und unsere eigene Geschichte, und sei sie noch so kurz, auf dem Buckel von Raum zu Raum zu schleppen, konnten wir nun frei atmen, uns entfalten, uns gegenseitig ausfalten, ohne uns zu zergliedern, und auch wenn die Art, wie ich dich liebte, mittlerweile vollends manisch geworden war und uns beide oft sprachlos machte, so sprachlos, dass du manchmal einfach mein Gesicht in beide Händen nahmst und mich mit der Verwunderung ansahst, mit der man ein zwar nicht unsympathisches, aber überaus fremdartiges Tier betrachtet, so waren wir hier doch zumindest in den ersten beiden Monaten glücklich.
    Dank der Fürsprache des unveränderlich freundlichen Dr. Karg, wieder da, mein Junge, sehr schön, sehr schön, grüßen Sie schön! , hatte mich die Klinikverwaltung zwar umstandslos wieder zurück auf die Laufbahn zum Grenzführungsarzt gesetzt, mir aber aufgrund meiner einjährigen freiwilligen Selbstzurücksetzung nach Bachtschissaraj eine ebenso freiwillige Extrarunde auf dieser Bahn in Form eines weiteren Motivationsprüfungsjahrs dringend ans Herz gelegt . In diesem Jahr sollte ich, anders als die anderen ausgezeichneten Leute, noch keine Außenzugänge operieren, sondern mich lediglich der Versorgung unserer, also der inneren Patienten widmen. Und dort wurde ich auch tatsächlich dringend gebraucht, die Inneren wurden von Tag zu Tag mehr, weil die Krim inoffiziell als letzter sicherer Zufluchtsort, offiziell als noch immer wachstums- oder eher, da es sich nicht um ein Ausdehnungs-, sondern ein Verdichtungsprojekt handelte, noch immer wucherungsfähiger Standort der klinischen Welt galt. Der Flughafen von Simferopol wurde Tag und Nacht weiter ausgebaut, und

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