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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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Schritte. Ich weiß nicht, was diese unangekündigte Aufnahme zu bedeuten hat, und daher gefällt sie mir nicht. Aber da es für den Gang der Dinge komplett irrelevant ist, ob er mir gefällt oder nicht, beschleunige ich gleich wieder, biege noch einmal mit vollem Kittelschwung um die Ecke und bin da – und falle beinahe in den Rücken von Dr. Dänemark. Er steht vor der Tür des Aufnahmezimmers, und es sieht aus, als lausche er an der Tür. Tatsächlich studiert er wohl nur den wöchentlichen Dienstplan für die Aufnahme, der an der Tür aushängt. Das Aufnahmezimmer ist neben dem Sprechsaal der einzige Raum auf der Station, in den man nicht hineinsehen kann, das Doppelglas seiner Wände und der Tür ist außen verspiegelt und innen weiß gefärbt. Dänemark dreht sich mit irritiert nach unten gezogenen Mundwinkeln um, aber jetzt, wo er mich erkennt, hellen sich seine Züge zu ihrem üblichen Bild auf und sind damit wieder im Lot mit seinem sommers wie winters sonnenblonden Haar.
    »Ah, da sind Sie ja, von Stern! Gibt anscheinend eine außerplanmäßige Aufnahme, und da ich, wie ich hier auch noch mal sehe, offiziell heute den Dienst hier habe …«
    »Jaja, aber Sie haben ja sicherlich die Ansage gehört, dass ich …«
    »Ah ja, mir war doch auch so, aber ich war nicht sicher, ob ich richtig gehört habe, dass Sie …«
    »Jaja, doch doch. Na, dann werd ich mal …«
    »Wissen Sie, wenn Sie wollen, könnte ich das auch … da ich schon mal hier bin, und so oft wie Sie mich schon im Sprechsaal vertreten haben …«
    »Oh, sehr nett, aber das ist gar nicht nötig, vielen Dank …«
    »Es macht mir wirklich nichts aus.«
    »Vielen Dank, aber Sie haben ja die Ansage …«
    »Aber ich nehme Ihnen das gerne ab, Kollege!«
    »Nein, wirklich nicht, vielen Dank, ich würde die Patientin lieber gern selbst nehmen.«
    Er sieht mich scheinbar verdutzt, tatsächlich aber eher spöttisch an:
    »Woher wissen Sie, dass es eine Patientin ist und kein Patient?«
    »Äh ja, woher … nein, das weiß ich natürlich gar nicht, bin irgendwie davon …«
    Dänemark unterbricht mich mit einem kurzen Auflachen, lässt seine hellblauen Augen im Strahlenhalbkranz seiner Lachfältchen leuchten und sagt dann zwinkernd:
    »Patient oder Patientin, das ist hier vielleicht gar nicht die Frage. Vielleicht ist es ja ein Gespenst, das da drin auf Aufnahme wartet.«
    Ebenso launig schmunzelnd antworte ich:
    »Ja genau, in diesem Fall will ich mein Gespenst jetzt nicht länger warten lassen.«
    »Ja, gehen Sie nur, behalten Sie Ihr Gespenst, ich will’s gar nicht.«
    »Na dann ist ja gut, schönen Tag noch, Kollege.«
    »Ihnen auch, Ihnen auch.«
    Er hat sich schon zum Gehen umgewandt und echot mir seinen Gruß mit gewedelter Rückhand zu, während er lässig davonschlendert, und ich reiße nach einem symbolischen Anklopfer die Tür auf.

6.
    Die Tür des Aufnahmezimmers öffnet sich nach außen, und mit einem Blick ist man sogleich im Bilde. Im Vordergrund der Besucherstuhl, dem Betrachter den Rücken zugewandt, sodass der zukünftige Patient, der hier seinen Platz einzunehmen hat, dem historisch verbürgten vertrauensbildenden Sadismus ihm gegenüber gemäß, den Arzt vor sich und die Tür, und mit ihr die Unannehmlichkeit jederzeitig unangekündigt eintretenden Personals, im Nacken hat, wodurch im zukünftigen Patienten ein subliminales Unbehagen doppelter Ausgeliefertheit und Schutzlosigkeit im Raum ausgelöst wird, das er durch reflexartige Flucht nach vorn und also den unsinnigen Entschluss zu unbedingtem Vertrauen in seinen zukünftigen Arzt und Referenten zu überwinden suchen wird. Im Mittelgrund, hinter dem Besucherstuhl, sieht man den großen, weißen Schreibtisch mit dem bequemen rotgepolsterten Arztstuhl dahinter, ein Sitz für die Ewigkeit, und schließlich, im Hintergrund, das überschlicht eichenholzgerahmte, riesige Ölgemälde an der Wand, eine hochformatige abstrakte Landschaft aus drei breiten Farbquerstreifen, die das Bild des Zimmers im Türrahmen zu wiederholen, zu überhöhen oder eher zu verspotten scheint. Zwei Landschaften in einer – und seltsamerweise sind sie beide menschenleer.
    Es ist niemand da. Keine Patientin, kein Patient, kein Gespenst. Wie ein abgesoffener Motor bleibt Referent auf der Schwelle stehen, die Hand schlaff auf der Innenklinke. Erleichterung und Enttäuschung machen sich in mir zu genau gleichen Anteilen breit, ana partes aequales . Das leise Seufzen, das unwillkürlich aus mir tritt, verbindet

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