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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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aneinander vorbeigekommen, konnten in keine noch so geschickte Verlegenheit mehr ausweichen, sahen uns einen Moment zu lang in die Augen, und da brach ich stumm weinend vor dir ein. Du zogst mich zu dir hoch, und wir hielten uns nicht mehr an Abmachungen, sondern einander an den Händen. Es gab nichts Tröstliches zu sagen, aber wir trösteten einander schweigend.
    Wir wussten nicht mehr wohin mit uns, also konnten wir wenigstens noch für ein paar Tage miteinander wegfahren. Ich wollte unbedingt noch einmal zurück nach Jalta, und widerstrebend stimmte Esther zu, doch als wir dort an einem strahlenden Samstagmorgen ankamen, sah ich ein, dass es das Schlimmste und Dümmste wäre, direkt an unsere Orte zurückzukehren. So fuhren wir zwar an der Küste am Strand von Gursuf, am Massandrapark, am Liwadijapalast vorbei, und du zeigtest in Wiedersehensfreude lachend und mit wehendem Haar wahllos auf jeden Baum und jedes Haus, aber wir hielten nirgendwo an, fuhren dann auch gar nicht mehr bis nach Koreis, denn du wolltest noch nicht mal in die Nähe des Djulber-Palasts, sondern ließen in Kurpaty den Wagen weit vor dem Kap Aj-Todor stehen, sahen nicht einmal hoch zum Schwalbennest, unter dem ich dich damals am Strand vergebens gesucht hatte. Die Nacht verbrachten wir im danebengelegenen Schlösschen Kitschkene, Unser Kleines, das wir beide noch nie gesehen hatten, und fuhren am nächsten Abend auf einem langen, gewundenen Weg wieder zurück.
    Sechs Wochen später, an unserem letzten Tag, kam ich sehr spät aus der Klinik, war noch erschöpfter als sonst, aber in sonderbar gehobener Stimmung, zuversichtlich, wollte mit Esther reden, und auch sie wollte augenscheinlich mit mir reden. Sie hatte auf mich gewartet, lief nervös in der Küche auf und ab, und kaum dass ich sie, froh, dass sie noch auf war, zur Begrüßung umarmt hatte, sagte sie gehetzt:
    »Ich muss dir was sagen.«
    »Ja? Was denn?«
    »Ich …«
    Sie brach ab und sah mir flackernd, leicht um Atem und um Worte ringend von einem Auge ins andere Auge, den einen Moment zu lang, und gereizt schoss es aus mir heraus:
    »Ja, was ich ? Du was? Sag schon!«
    »Schon gut. Nicht so wichtig.«
    »Oh Gott, verschon mich mit deiner Mimosenhaftigkeit! Entschuldigung, aber ich bin wirklich müde, ich habe sechzehn Stunden …«
    »Jaja.«
    »Was, jaja ?«
    »Schrei mich nicht an!«
    »Jetzt sag mir schon endlich, was du mir sagen wolltest!«
    »So sag ich dir gar nichts!«
    »Na schön, dann sagst du’s mir eben nicht. Mir egal. Ich kann mir das jetzt nicht antun, ich muss in vier Stunden wieder in der Klinik sein und …«
    »Leben retten, Herr Doktor!«
    »Ach leck mich doch!«
    Ich hatte so laut geschrien, dass mir der ohnehin höllisch schmerzende Kopf noch dröhnte, als ich an Esther vorbei ins Schlafzimmer stürmte und meine Decke und mein Kissen vom Bett riss. Sie war mir unschlüssig ein paar Schritte aus der Küche hinterhergekommen und stand nun nutzlos im Flur herum, wo ich dann mit dem Bettzeug im Arm ein zweites Mal an ihr vorbeistolzierte. Ich hoffte, du würdest diese lächerliche Geste nutzen, um das sinnlose Drama ins Lustspiel aufzulösen, aber du machtest keinerlei Anstalten dazu, standst völlig regungslos im halbdunklen Flur herum und sahst wie betäubt zu Boden, und so schmiss ich die Wohnzimmertür knallend hinter mir zu, warf mich ohne mich auszuziehen auf die scheußlich rostrote, viel zu kurze Couch und fluchte durch die Zähne und schäumte und zitterte vor mich hin.
    Natürlich wusste ich, wie lächerlich ich mich verhielt, konnte aber dennoch meiner Raserei nicht Herr werden, weil ich sie so dringend brauchte, um mit ihrer Hilfe wiederum meiner Panik Herr zu werden, einen Herrn durch den anderen ersetzen, darin war ich schließlich geübt, und unter der Decke meiner Raserei überlegte ich panisch, was es gewesen sein könnte, das du mir hattest sagen wollen. Nein, ich überlegte gar nicht, ich war sicher, du hattest mir sagen wollen, dass du gehen würdest, diesmal wirklich, ich meine es ernst, Franz, diesmal wirklich, es geht nicht mehr . Und als mir das klar wurde, diesmal wirklich , wurde ich auf einmal ganz ruhig, gewann endlich wieder Gewalt über mich und meine Glieder wurden angenehm schwer und leicht zugleich.

48.
    Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, wie ich im Flur neben der Leiche knie. Ja, ein toter Mensch ist wohl eine Leiche, denke ich, was für ein sonderbares Wort, das sagt doch gar nichts, Leiche … Ich schaue auf sie

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