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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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Entschlossenheit simulierendem Einatmen das Schreibgerät auf und verbindet sich mit sich selbst. So, da ist sie, deine leere Seite, und jetzt schreibst du nur schnell den kleinen Anfang, der dir dank der Quallenpest eingegeben wurde, nur das, weiter nichts! Aber Referent kann sich an nichts erinnern, ist leer, zum Platzen leer, und so bleibt der duldsame Bildschirm es mit ihm. Wie soll ich nur den Anfang, wie nur den richtigen Ton finden, den Ton der Stimme, die man mich noch immer nicht vernehmen lässt. Aber ohne Vernehmung kein Vernehmungsprotokoll, so ist das nun mal, und das ist dann nicht mein Versagen, sondern das der Leitung! Ich werde mich beschweren, Aufklärung verlangen, ja eine Eingabe an die Klinikleitung richten:
    Sie wollen erfahren, was ich da innen eigentlich bin, da, wohin ich keinen Zugang habe, da ich nicht Ihr Auge, nicht Ihr Ohr und auch nicht Ihre Gedanken habe. Da Sie mich aus Gründen, die mir gewiss einleuchten würden, so sie mir nur bekannt wären, nicht hören lassen, was Sie über mich wissen und denken, entbehrt meine Berichterstattung jeder seriösen Hörensagengrundlage, ich wäre unter den jetzigen Bedingungen gezwungen, ein vollkommen willkürliches Bild meiner selbst und meiner ärztlichen Leistungen zu zeichnen, das zweifellos ohne jeden Wert für Sie sein müsste. Ich bitte Sie daher, mein ärztliches Innerstes, erklären Sie mir, wie ich ohne Ihre Ansprache mich wahrheitsgemäß über mich äußern soll, denn über mich Sie reden hören, nur das hieße sich selbst erkennen, »erkennen, wie ich erkannt bin« – ich darf Sie vielleicht höflichst an diese Maxime unseres Hauses erinnern. Warum also quälen Sie mich durch Ihr Schweigen und verlangen von mir einen unmöglichen Aderlass, wo doch nur Sie das Blut meines Inneren mir abnehmen könnten, und ich gäbe es freiwillig und ganz, bis die Hülle leer wäre, aber verlangen Sie nicht länger von mir, nach der richtigen Vene zu suchen!
    Referent hält inne, blickt erschrocken auf das Geschriebene und löscht es hastig. Kaum dass es vom Bildschirm verschwunden ist, erscheint der hiesige Patient in verschwitzter Laufkleidung mit seinem Referenten im Zimmer, überrascht bleiben beide in der Tür stehen. Ich bin ausgerechnet im Gehege von Dr. Darmstätter gelandet, meinem intimsten Feind auf der Station, der nun seinen verdutzten Blick abnimmt und seine schimmernden Perlmuttzähne freilegt:
    »Na sieh mal einer an, der Herr Dr. von Stern, was für eine nette Überraschung!«
    »Oh äh, verzeihen Sie, Herr Kollege, dass ich hier so … bin auf dem Weg zu Dr. Tulp und musste noch dringend eine Krankenakte vervollständigen, die Transkription konnte nicht länger warten, der Patient hätte sie schon längst überarbeiten müssen – ich hoffe, Sie nehmen mir den kleinen Einbruch nicht übel.«
    »Nicht doch, nicht doch!« Referenten lachen einander gezwungen launig an, während Patient unwirsch zwischen ihnen hin und her schaut und sich das schweißnasse Gesicht mit dem Ärmel trocknet. »Ich hoffe, mein Schreibtisch konnte Ihnen weiterhelfen.«
    »Oh ja, danke, vielen Dank, tja dann …, war nett, Sie mal wieder …«
    »Zu Dr. Tulp sagten Sie? Ich hoffe, Ihnen fehlt nichts?«
    »Nein nein, reine Routine …«
    »Doch hoffentlich nichts Ernstes?« Er legt mir seine riesige Hand auf die Schulter, während sein Patient ungeduldig von einem Bein aufs andere tritt, muss augenscheinlich dringend pinkeln. »Das täte mir sehr leid.«
    »Na, und mir erst! Aber so weit sind wir noch nicht, also dann …«
    Darmstätter hört mir schon nicht mehr zu, macht sich an seinem Computer zu schaffen und blickt erst, als ich schon halb aus der Tür bin, zerstreut wieder zu mir auf:
    »Äh, wollen Sie, dass ich das speichere für Sie?«
    »Wie?«
    »Naja, das da, soll ich’s Ihnen schicken oder auf meinem Konto speichern, oder was soll ich damit …?«
    »Äh, darf ich mal sehen«, Referent darf auf keinen Fall zulassen, dass die Hitze im Nacken als Fleckenmuster ins Gesicht wandert. Ich atme auf, als ich das Licht des strahlend leeren Bildschirms erblicke.
    »Uppalla, wo ist es denn nun hin?« Darmstätter wischt mit den Fingerspitzen der leicht gespreizten Hand über den Bildschirm, als wolle er das Gesicht einer hinter einer Glasscheibe unerreichbaren Geliebten streicheln. »Ach du je, da hab ich’s wohl grad schon versendet – Gott weiß an wen! Naja, nicht so schlimm, zum Glück führen hier ja alle
    Wege zum Ziel und jede Nachricht findet ihren

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