Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
Vom Netzwerk:
aber ich werde nichts darüber berichten. Nein, sie müssen nichts erfahren, was sie nicht ohnehin schon wissen. Und sie wissen ja alles von uns, von Anfang an bis zu der Nacht, in der ich mich neben der Leiche kniend wiederfand. Also nichts davon.
    Stattdessen werde ich mit peinlichster Genauigkeit, suuuch die Länge, that’s it, girls! , das verschlungene Gestrüpp oder eher das öde Weizenfeld der letzten zwanzig Jahre nach etwaigen Verstecken meines alten Herzens durchkämmen, auch wenn ich nahezu sicher bin oder eher beschlossen habe, dass es dort nichts aufzuscheuchen gibt, denn wohin hätte mein Herz fliehen sollen vor meinem Herzen?
    Und sobald die Frauen da untenmir ihren üblichenverliebten Schlussapplaus geschenkt haben werden und als buntes Gewirr erleichtert schnatternd zu den Duschen eilen und sich danach beim Abtrocknen, Eincremen und Wiegen gegenseitig verstohlen in den Spiegelwänden mustern, während sie durch ihr heiteres Geplauder größtmögliche Unbefangenheit vorzutäuschen suchen, als würden sie die Nacktheit der anderen ebenso wenig bemerken wie meinen weißpastoralen Abgang durch ihre Dusch- und Umkleideräume hindurch, werde ich an den nächsten Rechner stürmen und Folgendes schreiben:
    Referent steigt am dreiundzwanzigsten September des Jahres Soundso um Viertel nach vier vor dem Angestellteneingang der Klinik aus einem Taxi, bekleidet mit einem weißen Tennisanzug, weißen Tennisschuhen und einem langen braunen Pelzmantel, im Gepäck zwei große schwarze Sporttaschen, deren eine er unbedacht energisch schultert, hat offensichtlich die noch recht frische Operationswunde kurz vergessen, greift sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Brust und droht beim Absetzen der Tasche hinter ihr her zu Boden zu sinken, doch nun eilen eine Schwester und ein Pfleger herbei, bringen Referenten auf ihre Schultern gestützt auf sein Zimmer. Empfängt dort, auf dem Bett liegend und während Schwester ihn an den Tropf hängt, von Dr. Holm, der sich ihm als nächstjüngster Neuling auf der Station vorstellt, erste Einweisungen in seinen zukünftigen Arbeitsalltag und in hiesiges Pranayama , unternimmt nach Holms Anweisungen erste, aufgrund der Schmerzen in der Brust noch wenig zufriedenstellende Versuche in Kombination von reinigender Tiefen- und energetischer Flankenatmung, wird dann zwecks Erholung und Eingewöhnung alleingelassen. Noch einmal, zum letzten Mal sich selbst überlassen, murmelt Referent seine alte Einschlaflosung und ich fürchte meine unbewussten Sünden, die Deinen Augen offenbar sind, aber nicht den meinen vor sich hin und sinkt dann in tiefen Schlaf. Wird mitten in der Nacht von Schwester wachgerüttelt, die ihm aufgeregt erklärt, dass eine Unfallpatientin mit schwer verletztem Bein auf der Intensivstation dringend seine Hilfe benötige. Und so findet Referent hinein in sein neues Leben, und so könnte ich weiter und weiter schreiben, von dort in einem durch bis hierher, wo die kühl glatten Fliesen unter meinen Füßen mir Halt geben werden bis zum Schluss.
    Und zum Schluss stehen wir wieder alle auf einem Bein zusammen, malen große Kreise in die Luft, reach out and circle, and circle and reach out!, und wie das Wasser und das Lächeln der Frauen zu mir nach oben spritzen, das ist so schaurig schön, das ist wie ein Schock bis tief hinein ins Sonnengeflecht. Referent muss wirklich dringend zu Dr. Tulp, um Mediator checken zu lassen.

10.
    Referent nach dem Bad der anderen deutlich erfrischt, streunt auf ungefährem Weg zu Dr. Tulp über die Flure, auf der Suche nach einem Örtchen, an dem er noch schnell einen Rechner ins Vertrauen ziehen könnte. Doch kaum dass ich in einer der Nischen eins der kleinen Geräte auf seinem ausrollbaren Pult aus der Wand ziehe und mich ihm per Daumenabdruck zu erkennen gebe, werde ich durch den hinter meinem Rücken ablaufenden Patientenverkehr gestört. Gereizt schiebe ich das Ding wieder weg und überlege kurz, ob ich einen Abstecher zum Professor machen sollte, um mich in seinem Zimmer in all seiner Schreiruhe an meinen Stammschreibtisch zu setzen. Aber freilich hieße das lediglich, schon wieder nicht mit meinem Eigenbericht zu beginnen, und auch zu Dr. Tulp käme ich, einmal dem Diktat des Professors ausgeliefert, heute nicht mehr.
    Referent schlüpft nach kurzem Zögern in das nächstliegende leere Patientenzimmer, dessen Insasse vermutlich gerade das dritte Laufen des Tages absolviert, setzt sich an dortigen Referententisch, klappt mit

Weitere Kostenlose Bücher