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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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Referent, spricht mit balsamierter Stimme, soweit bei seinen ramponierten Stimmbändern möglich. »Können wir nicht drüber reden wie vernünftige Leute, bitte?«
    »Na schön«, Referent sollte das auf keinen Fall tun, das Licht wieder anmachen, geschweige denn, sich mit erschöpft gebeugtem Rücken auf Bettkante von Patient setzen und die Hände schlaff in den Schoß fallen lassen.
    »Wollen wir nicht wieder gut sein, Doktor?«
    »Hm.«
    »Kommen Sie, mein Junge, ich diktiere Ihnen ein Stück! Das wird Ihnen guttun.«
    »Nein, dafür ist es zu spät. Aber ich könnte mich hier ein Stündchen an den Rechner setzen und an meinem Bericht arbeiten, wenn Sie brav sind und schlafen, einverstanden?«
    »Jaja, natürlich!«
    »Geben Sie mir Ihre Brille, wir haben sie im Eifer des Gefechts …«
    »Nein«, reflexartig hält er die Bügel seiner Fensterglasbrille fest, »ich möchte sie heut Nacht aufbehalten, man weiß nie.«
    »Wie Sie wollen.«
    Auf den drei Metern hin zum Schreibtisch straffe ich mich einigermaßen, und als ich mein Konto aufrufe und der leere Bildschirm im Halbdunkel des Zimmers mir entgegenleuchtet, bin ich fast zuversichtlich.
    »Die Nacht fällt heute besonders schön auf uns herab, nicht wahr?«
    »Professor, was haben wir abgemacht?«
    »Jaja, ich weiß, aber man sieht so besonders viele Sterne heute, so klar alles und doch so samtig, zwinker, zwinker, kleiner Kaninka! Niedriger Hund und Hoher Wolf, alle seid ihr gekommen! Der Himmel ist uns wahrhaft gnädig heute, schauen Sie doch, Doktor, wie schön!«
    Patient ungewöhnlich oder eher beunruhigend friedlich und gut, die Hände auf der brusthohen Decke gefaltet, schaut er lächelnd durchs Glas in den Nachthimmel, von dem er wegen der Spiegelung seiner Nachttischlampe unmöglich viel sehen kann.
    »Ach, dass es so etwas Schönes überhaupt gibt, Doktor, das ist wie ein Schock bis zum Pimmel!«
    »Ja, Ruhe jetzt!«
    »Ich könnt auch sagen: Von der Ergreifung zur Ergriffenheit! Wär Ihnen das lieber?«
    »Nein, mir wär am liebsten, Sie würden endlich den Mund halten, damit ich hier mal einen Anfang …«
    »Den werden Sie sowieso nicht finden, solange Sie zu dumm sind, auch nur in den Himmel zu schauen. Sehen Sie …«, er stützt sich schnaufend auf seinen linken Ellbogen und dreht sich mir zu, das dünne lange Haar an seinem Hinterkopf steht wie üblich wirr nach allen Seiten ab und leuchtet weißgolden im Schein der Nachttischlampe, was durch die momentane Klarheit seiner Züge ein etwas
    peinlicher Anblick ist. »Sagen wir’s mal so – schreiben Sie mit?«
    »Ja, ist gut.«
    Patient legt sich wohlig seufzend wieder auf den Rücken, zieht mit den Füßen die Decke zurecht und schmatzt noch ein paarmal lautstark, bevor er leise, aber deutlich zu sprechen beginnt:
    »Die gestaltlosen Wahnbilder in Zeichen zu verwandeln und sie an den Himmel zu projizieren«, er hebt den rechten Zeigefinger, und mit der linken Hand schiebt er beiläufig die Opium-Rhabarber-Flasche auf dem Nachttisch näher zu sich heran, »das war fraglos eine vernünftige Angelegenheit, man beamt die Angst an den Himmel, und dann ist unten Ruhe im Karton. Oben lässt man alles schön aushärten, zweimal Firnis drüber, vielleicht sicherheitshalber sogar galvanisieren, bis sich da wirklich nichts mehr regt, und dann ist überall Ruhe. Aber manchmal erwachen die Wahnbilder in den Zeichen über Nacht zu neuem Leben, und dann haben Sie den Salat … haben Sie das?«
    »Jj-… Moment, Sa-lat, ja, kann weitergehen.«
    »Nein, kann’s nicht, das ist es ja, was ich Ihnen begreiflich machen will, Sie dumme …«
    »Wollen Sie nun diktieren oder nicht?«
    »Ich wusste es! Ich wusste vom ersten Moment an, dass man Ihnen nicht anständig diktieren kann, und ich werde Ihnen auch sagen warum: Herr Doktor, Sie sind nicht janusköpfig. Deshalb habe ich Sie von Anfang an abgelehnt! Denn mit Ihnen ist kein Anfang zu machen. Wie sollen es meine Gedanken mit jemandem, der nicht janusköpfig ist, durch die Tür schaffen, hä?«
    »Schön, dann brechen wir eben ab!«
    »Sehen Sie? Ich sag ja immer, wer Ihre Hilfe hat, braucht keine Feinde!«
    Referent zu müde, um mit der Sonde zu drohen, schaut tatenlos zu, wie Patient in schwersten Schimpfparoxysmus fällt, hilft ihm selbst dann nicht, als Patient blau anläuft, aufs Kissen zurückfällt, sich konvulsivisch wieder aufrichtet, unter erstickten Schreien eine Hand nach Referent ausstreckt, dabei aus dem Bett fällt, und schließlich doppelt

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