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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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lesen?«
    »N-nein, wohl nicht.«
    »Na also, was dann noch? Soll ich unter Ihrem Bett nachsehen, ob auch keine Schwester drunter liegt, hm?«
    »N-nein«, er lacht leise und schüttelt zögernd den Kopf. »Das musst du nicht.«
    »Kann ich machen.«
    »Nein, jetzt ist wieder gut. Du bist nur nie bei mir.«
    »Jaja. Könnten wir dann jetzt bitte fortfahren mit der Schlafsimulation?«
    »Ist gut.«
    Aber er denkt gar nicht daran, zu schlafen. Den schweren, dunklen Kopf über dem aufgestützten Ellenbogen in der abgeknickten Hand, an deren Gelenk die azurne Zeichnung seiner feinen Adern trotz der Dunkelheit leuchtet wie auf holländischem Porzellan, als lägen sie nicht unter, sondern auf seiner weißen Haut, fiebert er plötzlich im trügerischen Glück geheimniskrämerischer Schlafsaalzweisamkeit:
    »Du, Papa?«
    »Hm?«
    »Ich möchte so gern wissen, wie alles war.«
    »Naja, das lässt sich nicht von einem Tag auf den anderen kurieren, aber es vergeht mit der Zeit, schlafen Sie jetzt!«
    »Wie ist es gewesen, Papa, als du meine Mutter kennengelernt hast? Wo habt ihr euch kennengelernt? Wie habt ihr mich gemacht? Ich meine, wo habt ihr mich gemacht, oder nein, ich meine, wie ? Wie … wie … wie … wie war sie?«
    »Wie oft soll ich es noch sagen, Evelyn, ich habe keine Ahnung, wer Ihre Mutter war, also weiß ich logischerweise auch nicht, wie sie war. Alles, was wir von ihr wissen, ist, dass sie Sie im Juli vor neunzehn Jahren als etwa drei Monate alten Säugling –«
    »Ach nein, nicht wieder das!«
    »… in ein weißes Leinentuch gewickelt –«
    »Das letzte Mal war es noch ein Schaffell!«
    »Ja natürlich, warum denn nicht gleich das goldene Vlies? Also … in ein weißes Leinentuch gewickelt hat oder eher mit einem schier unendlichen Streifen weißen Leinentuchs eng bandagiert hat, wie eine Schmetterlingspuppe oder eine Mumie, deren Gesicht man versehentlich freigelassen hat, wodurch das Bündel, das Sie waren, den Eindruck eines Schneeaffen oder eher eines Zwergastronauten …«
    »Eines Zwergargonauten?«
    »… eines Zwerg astronauten machte, und dass sie diese bandagierte Bagage nachts in die Postklappe unten am Außentor der Klinik gelegt hat. Sie sind eine Postwurfsendung, gewissermaßen, und Dr. Holm hat Sie gefunden.«
    »Ich dachte Dr. Dänemark?«
    »Nein, es war Dr. Holm, es war jedes Mal Dr. Holm, der Sie gefunden hat. Kam an diesem Sonntag im Morgengrauen von einem seiner damals noch notorischen Freigänge zurück, nicht übel angetrunken, hat den Rest des Tages ohne Damenbesuch in Shavasana verbringen dürfen, schwankte mit Ihnen in den unzuverlässigen Armen den Berg hinauf, trällerte irgendein wenig jugendfreies Lied, und so hatten Sie wirklich Ihre liebe Seenot mit diesem Postmatrosen, bis er Sie stolpernd in den sicheren Hafen des schwesterlichen Schoßes fallen ließ. Aber Sie haben nicht geschrien, haben nicht einen Laut von sich gegeben, wahrscheinlich weil Ihre Kehle dafür schlicht zu eng bandagiert war.«
    Evelyns vorgeschobene Unterlippe zittert leicht, und er versucht die Tränen zu unterdrücken, als er mit dem jugendlich gebotenen Anflug von Bitterkeit flüstert:
    »Ich habe mich nicht wehren können. Ich habe mich von Anfang an nicht gewehrt.«
    Ich strecke meine Hand nach ihm aus, aber die Betten stehen etwas zu weit auseinander, sodass ich die Tränen auf seiner Wange gerade noch mit den Fingerspitzen berühren, aber nicht wegwischen kann, und achselzuckend sage ich:
    »Es macht keinen Unterschied, Evelyn, glauben Sie mir, jedenfalls keinen wesentlichen, vielleicht ist es sogar besser so.«
    »Glaubst du das wirklich, Papa?«
    »Nein, aber auch darauf kommt es nicht mehr an. In jedem Fall – wollen Sie die Geschichte zu Ende hören oder diesmal lieber nicht?«
    Jetzt zuckt er die Achseln:
    »Ja …, doch, das muss man ja. Das muss man ja jedes Mal, sonst schließt sich die kreisrunde Wunde nicht.«
    »Eben. Und es bleibt ja auch nicht mehr viel zu sagen. Nach Meldung Ihres Funds wurden wir angewiesen, Sie vorläufig als Patienten aufzunehmen. Man zeigte uns die Kamerabilder aus der nächtlichen Poststelle, auf denen man aber nur den Umriss einer gänzlich verhüllten Frau sieht, die sich noch einmal über das Kind beugt, bevor sie wegrennt. Die einzige Information über die Ermittlungen der Klinikleitung in Ihrer Sache, die nach einem Jahr an uns durchgereicht wurde, war, dass Ihre Eltern beide offiziell für tot erklärt worden sind und Ihr Status als Patient daher

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