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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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Vater nicht umbringen, weil er nun einmal schon tot ist. Jemanden, der tot ist, kann man nicht umbringen.«
    »Doch, Papa, es geht immer weiter, es gibt da keine Grenze mehr, es hört nie auf, die Tötung wirkt auch im Jenseits fort, das ist ja das Entsetzliche, und jetzt bist du tot.«
    »Wie auch immer«, ich schnaufe wieder und lasse erschöpft sein Gesicht, das ich in beiden Händen schwer gehalten habe, los, und die leeren Schalen meiner Hände fühlen sich, jetzt, da ich sie sinken lasse, unangenehm steif und taub an. »Ich habe jetzt keine Zeit für Ihren infantilen Größenwahn, ich muss ins Schlaflabor, mich untersuchen lassen.«
    »Oh, kann ich mitkommen? Oh bitte, bitte, Papa!«
    »Na schön, dann aber schnell, und ziehen Sie sich was an.«

21.
    Referent und Wunschsohn sind, als sie das Schlaflabor erreichen, eine Viertelstunde zu spät für eine korrekte Nachtaufzeichnung, werden aber nach kurzem Geplänkel mit dem Wachpfleger doch noch zum Leiter des Schlaflabors, Dr. Dankevicz, vorgelassen und in das bläuliche Halbdunkel des riesigen, aber bis auf vier in seiner Mitte im Quadrat eng beieinander stehende Betten und die dazugehörigen, kleinlaut fiepsenden Apparaturen völlig leeren Saals hineingewunken. Dankevicz, Überflieger der Station, Schlafarchäologe, Gedankenleser, Superscreener sowie prominentester und wahrscheinlich letzter Phallographologe der klinischen Welt, kommt mit tänzerisch weit ausgestellten Füßen auf uns zugeschlendert oder eher -gewackelt, schlägt sich dabei im Takt eines unhörbaren Liedchens einen roten Aktendeckel gegen den Oberschenkel und schüttelt mir dann jovial die Hand:
    »Ja da schau her, Vater und Klon, was für ein hübsches Pastorälchen!«
    »Noch ein paar solcher Scherze, Dankevicz, und ich werd hier tatsächlich einschlafen.«
    »So soll’s sein, von Stern, so und nicht anders, immer schön schlecht gelaunt, gut gemacht!« Er klopft mir auf die Schulter und wendet sich dann mit aufmunterndem Lächeln Evelyn zu. »Willkommen in meinem lauen Aquarium, einst ruhmreicher Saal der Tobsüchtigen! Keine Angst, mein Junge, hier passiert Ihnen nichts, ein kleines Dämmerchen ist alles, was von den glorreichen Tagen übrigblieb. So, von Stern, dann wollen wir mal sehen, was von Ihrem Tag so übrigbleibt, wenn wir Sie vollständig lesen. Legt euch schon mal hin, Kinder, ich bin gleich bei euch!«
    Zerstreut weist Dankevicz auf die beiden Betten direkt hinter sich und watschelt dann noch einmal zum Vorzimmer davon. Referent und Begleiter sehen unschlüssig seinem auf dem Rücken hin- und herpendelnden, silbergrauen indianischen Zopf nach. Dieser Zopf ist ebenso Ausdruck seiner privilegierten Stellung wie der ärmellose Arztkittel, der es ihm erlaubt, seine nackten, unmäßig muskulösen und unersättlich tätowierten Arme zur Schau zu stellen, an denen nicht nur, wie so häufig, kein einziges Stück Haut freigelassen wurde, sondern auch keine Muster, Figuren oder Farbkonturen mehr erkennbar sind, weil so viele Tätowierungen einander überlagern, dass das Palimpsest auf seinen Armen sich in eine grünlilaschillernde schwarze Reptilienhaut verwandelt hat.
    Dankevicz verschwindet aus unserem Blickfeld, träge drehen wir uns wieder um und blicken auf die beiden uns erwartenden, schönen breiten Teakholzbetten, einträchtig nebeneinanderstehend, die duftigen Daunendecken nachlässig, ohne jede schwesterliche Strenge zurückgeschlagen. Und erst jetzt, wo wir die müden Augen noch einmal von den Laken heben, erkennen wir plötzlich im dunkelblau wabernden Licht, dass wir nicht allein sind. In den beiden anderen Betten, uns gegenübergestellt, liegen bereits zwei männliche Leseobjekte an Hunderte spinnwebenfeine Kabel angeschlossen auf dem Rücken und simulieren deltawellig tiefen Schlummer, während sie unter ihren verräterisch flatternden Lidern hindurch neugierig zu uns Nachzüglern herüberschielen und beobachten, wie ich Evelyn mit dem Kinn das Bett an meiner Linken zuweise, ihm den Bademantel abnehme und ihn sorgfältig zudecke, bevor ich mir selbst den Kittel ausziehe und mich seufzend auf dem kühlen glatten Laken ausstrecke. Vollkommen gewichtslos senken sich die Daunen leise knisternd auf mich herab und erwärmen sich augenblicklich an meinem Körper.
    »So lässt es sich aushalten, was?«
    »Ja, was auch immer, Dankevicz.«
    Referent öffnet die Augen vorsorglich nicht, fühlt durch den Schutz der Lider Dankeviczs hellgraues Lächeln direkt über sich lediglich als

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