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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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Feuerungsrate unter ihren Schädeldecken weit unter der Möglichkeit, ihre flüchtigen Gedanken in einen tatsächlichen Zwergenaufstand umzusetzen, und prinzipiell war es mir ohnehin egal, was diese Kinder von mir dachten, aber es war nun mal meine Pflicht, als Examensstudent die Mentorschaft für drei Anfänger zu übernehmen, eine Pflicht, die evaluiert wurde von irgendjemandem, weiß Gott wem, unter Umständen sogar von diesen Zwergen selbst. Und da ich nicht riskieren wollte, als tragischer Trottel in meine Geschichte einzugehen und wegen einer fatalen Lappalie mein Auszeichnungsexamen, unter Umständen meine gesamte Auszeichnungskarriere, ja mein ganzes zum Greifen nahes Auszeichnungsleben zu gefährden, versuchte ich, das noch immer spöttisch lächelnde Mädchen zu besänftigen.
    »Nein, das habe ich nicht nur nicht gesagt, sondern auch nicht gemeint. Ich meinte keineswegs, dass dein Aufsatz, geschweige denn du, nicht der Rede wert seien, ich meinte auch nicht, dass wir deinen Text nicht vielleicht bei Gelegenheit hier einmal diskutieren könnten. Ich wollte lediglich zu bedenken geben, dass du schließlich noch ganz am Anfang bist und dass es vielleicht wenig hilfreich ist, jetzt schon eigene Texte … also, wir sollten zunächst systematisch den Stoff durchgehen, denn wir müssen schließlich in den nächsten drei Monaten die Medizingeschichte zumindest in den Grundzügen uns aneignen, sie abgleichen, modifizieren und so weiter, ich muss euch zusätzlich in die ersten Heilbehandlungen einweisen, ihr müsst erste Schritte in Pranayama machen, und und und … tja, und falls dann noch Zeit sein sollte, was ich offengestanden nicht sehe, könnten wir durchaus …«
    »Jaja, schon gut.«
    »Im Übrigen können wir, so ambitioniert deine Beschäftigung mit ihr sein mag, die Tuberkulose wirklich eher vernachlässigen. Seit Ewigkeiten hat kein Mensch mehr –«
    »Das stimmt eben nicht, und darauf wollte ich ja hinaus, dass es mir sinnlos vorkommt, dass wir hier all diese Thalassoanwendungen lernen sollen, ohne –«
    »Na schön, sagen wir, kein Mensch hier bei uns kann noch beziehungsweise wieder an TBC erkranken, und –«
    »Ja aber, wenn wir Ärzte, tatsächliche Heilärzte werden wollen –«
    »Würdest du mich ausreden lassen, bitte?«
    »Ja natürlich, sobald du mich ausreden lässt.«
    »Bist du immer so unverschämt?«
    »N-nein«, sie runzelte die Stirn, schüttelte unschlüssig den Kopf und schien ernsthaft über eine ehrliche Antwort nachzudenken. »Nein, ich glaube nicht.«
    Ich gab zuerst auf und lachte, und da lachte sie auch, derweil ihre Kommilitonen sich die Augen rieben, zu müde, um verwirrt zu sein, und ich fand, wir amüsierten uns ganz leidlich miteinander, bis sie plötzlich aufhörte zu lachen, mich mit zusammengekniffenen Augen musterte wie einen interessanten Zellhaufen und gleichsam analytisch feststellte:
    »Ich mag dich nicht.«
    »Ach – nicht?« Ich lachte auf. »Und das sollte mich warum doch gleich interessieren?«
    »Weiß nicht …«, sie zuckte die Achseln, zupfte an den Bundfalten ihrer dunkelblauen Tennisshorts herum, streckte die Beine mit einem Ruck, der mich zusammenzucken ließ, lang in meine Richtung aus, wackelte hektisch mit den übereinandergelegten Knöcheln herum und sprach dabei zugleich in scheinbar völliger Ruhe. »Ich wollte das lediglich zu bedenken geben oder wie das heißt, dachte nur, es könnte hilfreich sein oder aber auch wenig hilfreich sein für dich, denn ich sehe offengestanden nicht, wie dir noch zu helfen sein sollte.«
    »Was redest du da, um Himmels willen?«
    Angesichts dieser Irren war mir das Lachen vergangen, und die unbehagliche Vorstellung durchflatterte meinen Kopf, sie könne in meinem Blick in ihre gelbstichigen Augen und auf ihre blassen Knie meine allenfalls fadenscheinig floristisch bemäntelten schmutzigen Gedanken gelesen haben, und im Stillen bat ich schon meinen Rosenkranz um Vergebung für mein verkommenes oder eher überkommenes Fleisch, als sie ihr aggressiv gegen mich gerichtetes Kinn plötzlich sinken ließ und stammelte:
    »Entschuldigung, ich hatte mich nicht ganz … Verzeihung, ist mir so … ich … ich habe, glaube ich, Probleme damit, wie die Dinge hier so laufen, ich habe mir alles irgendwie anders vorgestellt, Entschuldigung, dafür kannst du ja schließlich nichts.«
    »Schon gut«, ich lächelte vage, »kein Problem.«
    Ich schien nur für einen kurzen Moment ein wenig aus dem Tritt, ein Sekundenschwindel,

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