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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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schön, schrei nicht, du warst weit genug draußen, aber was du gesehen hättest, Entschuldigung hast , ist die Kaukasusküste.«
    »Ich kann also bis zur gegenüberliegenden Küste schauen, weiter als die doppelte Entfernung, aber die Flotte, die mir im Blickweg vor der Nase liegt, die kann ich nicht sehen?«
    »Du siehst den Kaukasus, weil er erhaben ist – Gebirge, Berge, schon mal gehört? Die Flotte dagegen hebt sich kaum vom Meer ab, so kleine Schiffe kannst du in dieser Entfernung nicht sehen. Und dann hat die Flotte ja auch nicht mal eine klare Linie.«
    »Ich sehe über die Flotte hinweg, ja?«
    »Ja natürlich, bist du so dämlich oder willst du mich nur ärgern?«
    Sie schwieg, sah wütend an mir vorbei und schlug sinnlos auf das Wasser ein, sodass ich lachen musste:
    »Na komm, lass uns rausgehen, es ist zwar auf eine kranke Art schick, dass deine Lippen mittlerweile nicht mehr nur blau, sondern schon schwarz sind, aber –«
    »Aber eben auf eine kranke Art.«
    Sie lachte bösartig und schwamm mit einem Delphinsatz davon, aber diesmal war ich wirklich schneller und bekam sie sicher zu fassen:
    »Sei wieder heiter, bitte.«
    »Ja, ist gut.«
    »Nein wirklich, sei mir gut.«
    Sie lächelte und flüsterte zähneklappernd:
    »Sobald wir draußen sind.«
    Als wir zurück an den Strand kamen, war er wie ausgestorben, die Patienten waren ohne Rücksicht darauf, dass sie noch Stunden bis zum Sonnenuntergang hier hätten sitzen und sich wärmen können, zum Abendessen gebracht worden, und die weißen, nun eng zusammengebundenen Sonnenschirme mit den langen Metallspitzen standen würdevoll verlassen, aufgepflanzt wie Zierbajonette, denen ihr Garderegiment abhandengekommen war, in der Sandlandschaft herum. Esther wickelte sich unter tausend genüsslichen brrrrs schlotternd in ihr riesiges Handtuch ein und reichte mir mit einem weiteren brrrr auch eins, ich nahm es, schüttelte dabei aber zugleich den Kopf:
    »Zieh erst den Bikini aus, du wirst dich sonst erkälten.«
    »Ach nein, so schnell geht das nicht, ich bin ja nicht mehr fünf.«
    »Anscheinend doch. Komm schon, zieh dich aus«, aber sie starrte nur bewegungslos in den Sand neben ihren Füßen, als ob dort geschrieben stünde, was sie tun sollte, und ich zog mir lachend die Badehose aus. »Na los, mach endlich, du Spinner!«
    »Mhm ja, naja …«
    Sie rieb sich das Kinn wie ein alter Mann, der an einem schwer abweisbaren Argument zu schlucken hat, zog sich dann geschwind aus, den Paravent ihres Handtuchs ängstlich geschickt vor sich haltend, schaute erst dann wieder hoch zu mir und musterte verdutzt die riesige Quernarbe über meiner Brust, die sie seltsamerweise erst jetzt bemerkt hatte, und sagte dann mit dem scheinbar abgebrühten Blick des unbestechlichen Sammlers und Feilschers:
    »Gar nicht so übel, das Ding. Weißt du, wenn ich mal groß bin und zu Ende studiert habe, werde ich eine bahnbrechende dreibändige Abhandlung mit dem Titel Der Fetischcharakter des Fetischs schreiben.«
    Dann lachte sie, und weil ich ihren Spaß nicht recht verstand, beeilte ich mich, in ihr Lachen einzustimmen, wir lachten hysterisch, uns gegenseitig immer weiter ins Lachen hineinsteigernd, und als unser Lachen endlich seufzend mit der Brandung des Schwarzen Meeres ausrollte, sah sie mich traurig lächelnd an, und ich fühlte mich durchschaut und kramte schon in meinem Kopf nach meinem Mantra, und ich fürchte meine unbewussten Sünden, die Deinen Augen offenbar sind, aber nicht den meinen , nur um festzustellen, dass der wohlfeile Satz mir hier nicht weiterhalf. Diesmal schien ich wirklich durchschaut, denn mit Erstaunen stellte ich fest, dass ich mir kein Bild von dem machen konnte, den Esther da sah, und während ich noch überlegte, ob das gut oder schlecht ist oder ob es darauf vielleicht gar nicht ankommt, räusperte sie sich in mein fieberndes Schweigen hinein:
    »Darf ich dich etwas Persönliches fragen?«
    »Nur zu!«
    »Schämst du dich eigentlich manchmal, wenn du so nackt vor jemandem stehst?«
    »Ja, doch, manchmal, natürlich.«
    »Ich glaube dir kein Wort.«
    »Oh doch, jetzt zum Beispiel schäme ich mich.«
    Und das tat ich tatsächlich, ich schämte mich ganz anständig, und weil ich jung war und also nicht wusste, dass ich jung war, gab dieses mir nahezu unbekannte, ekstatisch unangenehme Gefühl mir die maßlose Hoffnung ein, doch noch aus meinen grundlosen Winkelzügen, ja aus einem versteckten Winkel meiner Grundlosigkeit geborgen zu werden. Denn

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