Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)
sein Nickerchen halten wollte, meiner – meiner, Gott sei Dank! Das ist meiner, meiner … mich … ich … dich …
»Ganz schön außer Atem, was, Jungchen?«
»Ja … ja, könnte ich … bitte …«
»Was? Wasser?«
»Ja … Wasser … bitte!«
»Hier«, ohne sich zu mir umzudrehen hielt er mir eine Plastikflasche, die zur Hälfte mit einer hellroten Flüssigkeit gefüllt war, nach hinten und lächelte in den Rückspiegel. »Trink, Jungchen, das beste Wasser der Welt, das Wasser des Lebens.«
»Oh, danke, aber ich möchte lieber keinen Wein, würde mir jetzt …«
»Nicht doch«, noch immer hielt er mir die Flasche hin, während er sich auf der Küstenstraße einfädelte, »wofür hältst du mich, einem Durstigen Wein anzubieten! Nein, das ist die reinste Traube aus der Goldenen Schlucht, vor der Vergärung gerettet und mit natürlichem Tränenquellwasser aus dem Springbrunnen von Bachtschissaraj versetzt. Trink, Jungchen, dass du mir wieder zu Kräften kommst.«
Wortlos nahm ich ihm die Flasche aus der Hand und soff schwer schluckend das Zeug in mich hinein, nickte dann dankbar in den noch immer lächelnden Rückspiegel und lehnte mich mit einem lauten Seufzer und weit auseinanderfallenden Knien in den glatten Kunstledersitz zurück. Erst im Nachgeschmack fiel mir auf, wie gut das Zeug gewesen war, es hatte gar nichts von der selbst in starker Verdünnung immer etwas klebrigen Dichte von Traubensaft, sondern schmeckte nach einem hochnäsig perlenden Wasser, dem man nur eine flüchtig rötliche Essenz von sehr süßen, schon fast verdorbenen Himbeeren zugesetzt hatte.
»Bist das Laufen nicht gewohnt, was, Jungchen?«
»Doch doch, eigentlich schon, lauf ja am laufenden Band auf dem Band, nur irgendwie halt nie … irgendwohin …«, ich musste lachen. »Laufen kann ich schon, gehen auch, aber nicht rennen.«
»Soso. Und wie heißt sie?«
Das Lächeln im Rückspiegel hatte sich in ein breites Grinsen verwandelt, sodass ein kleiner Rasierschnitt über der Oberlippe des Fahrers sich in die Länge zog wie ein kurzer strichdünner roter Schnurrbart, und mir ging der blödsinnige Gedanke durch den Kopf, dass die Männer auf der Krim wahrscheinlich die Einzigen rund ums Schwarze Meer sind, die ohne Bart auskommen, wie wir Ärzte sind die meisten Einheimischen hier ein Leben lang glattrasiert. Er grinste mich noch immer an, seine dunkelblauen Augen leuchteten unter den fast schwarzen Augenbrauen in freundlichem Spott, und ich grinste kurz zurück, antwortete ihm aber nicht, sondern sah zu, wie im Seitenfenster die geschwungene weiße Mauerlinie des Botanischen Gartens vorüberzog. Für einen Moment wunderte ich mich, warum wir den Schleichumweg durch Nikita hindurch machten, erfreute mich dann aber zu sehr am Anblick der über die Mauer hinausragenden Zypressen und Aleppokiefern, um meinen Fahrer zur Rede zu stellen, sank noch tiefer in den Rücksitz und beschloss, die Fahrt zu genießen, wie lange sie auch dauern möge.
25.
Kaum hatte ich diesen Gedanken fassen können, als wir auch schon die Talsenke nach Gursuf hinabfuhren. Ich ließ mich an dem von der Bushaltestelle aus gesehen ersten und damit in diesem Fall besten Strand absetzen, denn ich war sicher, dass jemand wie Esther, nein, nicht jemand wie , sondern Esther zwar gerade noch die Sonntagsmühe auf sich nehmen konnte, in den Trolleybus nach Gursuf zu steigen, damit aber auch schon am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt wäre und erschöpft schnaufend ihren dünnen Hintern in den naheliegendsten Sand fallen lassen würde.
Als nämlich eine gute Woche vor diesem Sonntag ein großes Mentor-Monitoring mit allen Gruppen im weißgoldprunkigen Sitzungssaal des Hotel Tawrida stattgefunden hatte und wir anschließend alle gemeinsam die Uferpromenade entlang bis um den Hafen herum spazierten, um Bei Hamlet Tschebureki zu essen, war Esther schon nach ein paar Metern plötzlich verschwunden. Schon als wir über die Bystraja-Brücke liefen, war sie nicht mehr da, und als ich nach einer quälenden Höflichkeitsstunde am Tisch mit meinen anderen Schäfchen, den beiden schafsdummen Jungs, zurücklief und wieder über die Brücke kam, sah ich, dass sie dort in der Nähe, an der scheußlichsten der zahlreichen scheußlichen Stellen der Jaltaer Uferpromenade, vor dem McDonald’s neben dem lärmenden Rummelplatz saß und Kaffee trank. Also würde sie auch in Gursuf nicht wie ihre Kommilitonen in die Tschechowbucht hinunter oder in eine der schönen stillen Buchten
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