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Heimlich

Heimlich

Titel: Heimlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Ellroy
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»Hören Sie, gottverdammt«, sagte ich barsch, »John DeVries wurde ermordet. Seine Schwester ebenso. Wir reden über Menschenleben, nicht über biblische Gardinenpredigten. Ich...« Ich hielt inne.
    Andrew war unter seinen dunklen Stoppeln bleich geworden, und seine riesigen braunen Augen verdunkelten sich vor Trauer. »Mein Gott, Marcella«, flüsterte er.
    »Sie kannten sie?«
    »Dann war es doch wahr...«
    »Dann war was wahr, gottverdammt?!«
    Andrew fiel in sich zusammen, während ich versuchte, meine Erregung zu verbergen. Er starrte auf seine Hände. Ich gab ihm ein wenig Zeit, um sich zu beruhigen, dann sagte ich sanft: »Dann war was wahr, Andrew?«
    »Marcella erzählte meiner Frau und mir letzten Monat, daß sie in Gefahr wäre, daß ihr Ehemann das Sorgerecht für ihren Sohn wollte, daß er ihn kidnappen würde.«
    »Letzten Monat? Sie haben Marcella letzten Monat gesehen? Wo?«
    »In Los Angeles. Irgendein scheußliches Kaff östlich von L.A. El Monte. Marcella rief meine Frau an. Sie sagte, sie müßte uns dringend sehen, sie bräuchte seelischen Trost. Sie überwies uns telegrafisch Geld, und wir flogen nach Los Angeles. Wir trafen Marcella in einer Bar in El Monte, mein -«
    »An einem Samstagabend? Am 21. Juni? Hat Ihre Frau einen blonden Pferdeschwanz?«
    »Ja, aber woher wissen Sie das?«
    »Ich hab’ es in der Zeitung gelesen. Die Bullen in L.A. suchten Sie als Verdächtige nach Marcellas Ermordung. Sie wurde spät in jener Nacht ermordet, nachdem sie Sie in der Bar zurückgelassen hatte. Sie hätten zuhören sollen, Andrew.«
    Ich wartete, bis sich das gesetzt hatte, und sah zu, wie Andrew in Trauer versank. Die Ruhe, in der er trauerte, machte mich nervös: Ich hatte das Gefühl, er machte schon einen Kuhhandel mit Gott, um sich aus der Klemme zu befreien. »Wann haben Sie Marcella zum ersten Mal getroffen?« fragte ich sanft. »Erzählen Sie mir, wie sie dazukam, Sie letzten Monat anzurufen und um Hilfe zu bitten.«
    Andrew krümmte sich in seinem Stuhl, als wollte er sich unterwerfen. Seine Stimme war sehr leise: »Marcella kam vor vier Jahren zum Orden. Will Berglund hatte ihr von uns erzählt. Sie war ganz verstört, sie sagte mir, etwas Furchtbares würde passieren und sie wäre nicht in der Lage, es aufzuhalten. Ich sagte ihr, der Orden Zum heimlichen Herzen sei geistige Disziplin, die auf anonymen guten Taten beruhe. Wir haben ein paar wohlhabende Gönner, denen eine Druckerei gehört, bei der wir unsere kleinen Traktate drucken lassen, aber in der Hauptsache betreiben wir unsere Farm hier, versorgen uns selbst und verschenken unsere Lebensmittel an hungrige Menschen. Wir haben täglich drei Stunden stiller Meditation und jede Woche einen Fastentag. Aber vor allem reisen wir in die Städte. Wir legen unsere Traktate in den Missionen in den Slums aus, in Gefängniskapellen, wo immer es einsame, verzweifelnde Menschen gibt. Wir gehen durch die Straßen der Städte, helfen einsamen, betrunkenen Menschen aus der Gosse, geben ihnen zu essen und schenken ihnen Trost. Wir rekrutieren nicht aktiv - unsere Disziplin ist streng und nicht für die Flatterhaften. Und wir sind anonym: Wir heischen nicht nach Beifall für das Gute, das wir tun. Das alles erzählte ich Marcella, als wir uns damals im Jahr 1951 unterhielten. Sie sagte, sie hätte verstanden. Und so war es. Sie arbeitete rastlos. Sie führte zerlumpte Frauen von der Straße, badete sie und gab ihnen zu essen, dann kaufte sie ihnen Kleider von ihrem eigenen Geld. Sie bot Nächstenliebe an wie sonst niemand. Sie wartete vor den Toren des Zuchthauses von Milwaukee County und fuhr die Haftentlassenen in die Stadt, redete mit ihnen und lud sie zum Essen ein. Sie hielt tagelange Wachen vor der Unfallstation im Krankenhaus von Waukesha, bot ihre Schwesterndienste unentgeltlich an und betete für die Unfallopfer. Sie gab und gab und gab, und durch das Geben veränderte sie sich.«
    »In was, Andrew?«
    »In einen Menschen, der das Leben akzeptierte; und sich selbst, wie der Herr es verlangt.«
    »Und dann?«
    »Und dann ging sie, so plötzlich wie sie gekommen war.«
    »Wie lange war sie beim Orden?«
    »Ungefähr sechs Wochen.«
    »Sie ging im August ’51?«
    »Ja... ja, das ist richtig.«
    In mir brach etwas zusammen. »Tut mir leid, daß ich geflucht habe«, sagte ich.
    »Bedauern Sie es nicht. Sie wollen Gerechtigkeit.«
    »Ich weiß nicht, was ich will. Johnny DeVries kam unabhängig von seiner Schwester hierher, stimmt das?«
    »Ja.

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