Heimlich
das sich vor unseren Augen ausbreitete. Schon bald fuhren wir den Lake Drive entlang, und Waldo verrenkte sich den Hals auf der Suche nach dem Uhu.
»Da!« sagte er und zeigte auf eine Reihe von Läden in einem modernen Einkaufszentrum. »Da ist es.«
Ich fuhr hin und erspähte endlich einen Laden, der »Happy Harrys Hobby-Hafen« hieß. Endlich wußte mein erschöpftes Hirn, was los war: Happy Harry war George Melvenys Kleber-Lieferant.
»Bleib hier, Waldo«, sagte ich. Ich parkte und ging in den kleinen Laden.
Happy Harry sah nicht besonders glücklich aus. Er war ein dicker Mann mittleren Alters, der so aussah, als haßte er Kinder. Er beäugte gerade mißtrauisch eine Gruppe von ihnen, die Flugzeuge aus Balsaholz über ihre Köpfe hielten und sie dann im Sturzflug aufeinander losgehen ließen, wobei sie riefen: »Kabumm, ieoinggg, pänggg!« Plötzlich war ich sehr müde, und mir war nicht danach zumute, mit dem Dicken in den Ring zu steigen, der aussah, als würde er seine Seele für ein Gespräch mit einem Erwachsenen verschenken.
Ich ging zu ihm hin und sagte: »George Melveny, der ›Uhu‹.«
Er gab zur Antwort: »Oh, Scheiße.«
»Warum ›Oh, Scheiße‹?« fragte ich.
»Kein besonderer Grund. Ich dachte nur, Sie sind ’n Bulle oder so was, und der Vogel hat sich wieder angezündet.«
»Macht er das oft?«
»Nä, erst ein- oder zweimal. Er vergißt’s und zündet sich ’ne Zigarette an, wenn sein Bart voller Klebstoff ist. Daher ist von seinem Gesicht nicht viel übrig, aber das macht nichts, von seinem Hirn auch nicht, also, was soll’s? Stimmt’s, Officer?«
»Ich bin kein Cop, ich bin Versicherungsdetektiv. Mr. Melveny wurde gerade eine große Abfindung versprochen. Wenn Sie mir den Weg zu ihm weisen, dann bin ich sicher, daß er sich erkenntlich zeigen und Wagenladungen voll Klebstoff hier in Ihrem Unternehmen erwerben wird.«
Happy Harry nahm mir ungerührt alles ab: »Der Vogel hat heute morgen drei Modelle gekauft. Ich glaube, er ging über die Straße, um mit ihnen am Strand zu spielen.«
Bevor der Mann noch etwas sagen konnte, ging ich hinaus zum Parkplatz und sagte meinem Reiseleiter, wir würden den Strand absuchen gehen.
Wir fanden ihn mitten im Sand sitzend. Er starrte abwechselnd auf die weiße, stampfende Flut des Lake Michigan und den Stapel von Plastikmodellen auf seinem Schoß. Ich gab Waldo fünf Dollar und sagte ihm, er solle verschwinden. Er dankte mir überschwenglich und tat, wie ihm befohlen.
Ich starrte den Uhu ein paar lange Augenblicke an. Er war groß und überaus hager, und sein knochiges Gesicht war mit weißem Narbengewebe bedeckt, das an den Rändern hellrot verbrannt war. Sein sandfarbenes Haar war lang und lag zu beiden Seiten seines Kopfes an; in seinem rotblonden Bart glänzten klebrige Kristallteilchen, die er geistesabwesend abzupfte. Es war zweiunddreißig Grad warm und windstill, und er trug immer noch wollene Hosen und einen Rollkragenpullover.
Ich ging zu ihm hin und begutachtete die Sachen auf seinem Schoß, während er mit offenem Mund eine Gruppe Kinder anstarrte, die Sandburgen bauten. Seine knochigen, klebstoffverkrusteten Hände hielten das Plastik-Fahrgestell eines 1940er Ford, das mit dem Rumpf eines B-52-Bombers verleimt war. Winzige indianische Krieger mit Tomahawks und Pfeil und Bogen bekämpften sich mit dem Kopf nach unten auf dem Bauch des Flugzeugs.
Der Uhu bemerkte mich und mußte eine gewisse Traurigkeit in meinem Blick erkannt haben, denn er sagte mit sanfter Stimme: »Sei nicht traurig, mein Junge, die Schwester hat ’ne schöne Schneewehe für dich, und ich war auch im Krieg. Sei nicht traurig.«
»In welchem Krieg, Mr. Melveny?«
»In dem nach dem Korea-Krieg. Ich arbeitete damals für das Projekt Manhattan. Die gaben mir den Job, weil ich früher Manhattans für die Patres gemixt hatte. Ganze Krüge voll, mit kleinen Maraschino-Kirschen. Die Patres selbst waren noch Jungfrauen, aber die hätten mit den Schwestern einen drauf machen können, aber die waren auch noch Jungfrauen. Wie Jesus. Die hätten auch gefeuert werden können wie ich, und dann hätten die Schwestern für die Schwestern arbeiten müssen.« Melveny zeigte mir sein Plastikhäufchen. Ich nahm es und hielt es einen Augenblick in der Hand, dann gab ich es ihm wieder. »Gefällt dir mein Schiff?« fragte er.
»Es ist sehr schön«, sagte ich. »Warum haben sie dich gefeuert, George?«
»Früher war ich George, und George war mir recht, aber jetzt bin ich
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