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Heimlich

Heimlich

Titel: Heimlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Ellroy
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Verhöre nie weich wurde. Das Tagebuch zeigte an, daß Engels und Brubaker ähnlich eingeschüchtert waren, im selben Würgegriff des unglaublichen Doc Harris. Was ich schon lange vermutet hatte, wurde auch bestätigt: Marcella Harris war an dem Verbrechen nicht beteiligt - sie lag im Marinekrankenhaus von Long Beach, weil sie eine Fehlgeburt hatte.
    Damals sah Johnny zum ersten Mal einen erschütterten Doc Harris. Wegen einer Komplikation sollte Marcella für den Rest ihres Lebens unfruchtbar bleiben. Damals kam Johnny seinem Beschützer zu Hilfe und bot ihm an, was Doc selbst mit Marcella nie würde erreichen können - Johnny erzählte Doc, daß seine Freundin, die Doc abgelehnt hatte, jetzt in Wisconsin und schwanger wäre, die Geburt stünde in zwei Wochen bevor.
    Doc und Johnny flogen dorthin. Doc entband das Kind in einem Wohnwagen, der in einem Weizenfeld südlich von Waukesha geparkt war. Maggie wollte das Baby behalten, aber Doc, den Larry Brubaker bei der Geburt unterstützt hatte, hatte ihr so lange zugesetzt, bis sie ihm das Kind überließ. Er wollte das Kind wohlbehalten in ein »besonderes« Waisenhaus für »besondere« Kinder bringen. Doc fuhr nach Los Angeles zu seiner Frau zurück, mit dem Kind, das diese sich so sehnlich gewünscht hatte, und mit seinem eigenen »moralischen Erben«.

    Wieder überschlug ich einen Zeitraum, nur um festzustellen, daß der Bericht abrupt aufhörte, kurz nachdem Johnny die Ereignisse im August 1945 geschildert hatte. Aber es waren mindestens hundert Blätter übrig, undatiert, aber vollgeschrieben. Johnny war unerklärlicherweise zu roter Tinte übergegangen, bald darauf aber wußte ich, warum: Johnny hatte nach Docs absolutem Wissen gestrebt, und aus Dankbarkeit für seinen moralischen Erben hatte Doc es ihm vermittelt. Dies war die Geschichte der »buchstäblichen Macht über Leben und Tod«, die Doc über viele Menschen ausgeübt hatte. Hier war sie, in passendem Rot, denn es war die Geschichte des wahnsinnigen Doc Harris. Die Geschichte seiner mörderischen, zehnjährigen Karriere als reisender Engelmacher in den Slums des Mittelwestens, ausgestattet mit Skalpellen zum Schneiden, billigem Whiskey zur Narkose und seinem elitären Haß als Motivation.
    Johnny fuhr fort, seinen Lehrmeister wörtlich zu zitieren:

»Natürlich wußte ich seit meinem Medizinstudium, daß es meine Mission und mein Lernprozeß war; daß die Macht über Leben und Tod das absolute Lernziel war. Ich wußte, wenn ich diesen schrecklichen, aber notwendigen Prozeß des Gebärens und Ausmerzens wirksam durchführen und jeder möglichen emotionalen Beschädigung dadurch entkommen könnte, dann würde ich das unversehrte Bewußtsein und die unverletzliche Seele eines Gottes besitzen.«

    Ich las weiter, wie Doc einem ehrfürchtigen, dann sich ekelnden Johnny seinen Selektionsprozeß beschrieb:

»Wenn die Mädchen von einem Liebhaber oder Zuhälter an mich verwiesen wurden, dann mußte ich ihnen gestatten, weiterzuleben. Wenn sie gescheit und charmant waren, führte ich meine Aufgabe mit all meinem beträchtlichen Geschick und Scharfsinn durch. Wenn die Mädchen aber häßlich oder weinerlich oder schlampig oder stolz auf ihre Promiskuität waren, dann war die Welt ohne sie und ihre Nachkommen besser dran. Solche Kreaturen erstickte ich mit Chloroform und trieb ihr Kind ab, wenn sie tot waren - ich perfektionierte mein Geschick, um das Leben der unglücklichen jungen Frauen zu retten, die es verdienten, zu leben. Dann fuhr ich mit der toten Mutter und ihrem Kind aufs Land und begrub sie spät nachts in fruchtbarer Erde. Ich fühlte mich diesen jungen Frauen sehr nahe und war sicher in meinem Wissen, daß sie gestorben waren, damit andere leben konnten.«

    Doc Harris fuhr fort, seine Abtreibungstechniken zu beschreiben, aber ich konnte nicht weiterlesen. Ich fing hemmungslos an zu weinen und nach Lorna zu schreien. Jemand klopfte an meine Tür, und ich grabschte das Kissen vom Bett, erstickte mein Heulen und fiel um mich schlagend, zuckend und stoßend auf den Boden. So muß ich eingeschlafen sein, denn als ich aufwachte, war es dunkel. Das einzige Licht im Zimmer kam von einer Tischlampe. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich wieder wußte, wo ich war und was geschehen war. Ein Aufschrei stieg in meiner Kehle auf, und um ihn zu unterdrücken, hielt ich den Atem an, bis ich fast ohnmächtig wurde.
    Ich wußte, ich mußte das Tagebuch zu Ende lesen. Langsam stand ich auf und stählte mich für

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